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Zelot

Zelot

Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
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Anklagepunkten für unschuldig befunden hat, führt ihn zusammen mit einem Banditen namens Barabbas, der bei einem Aufstand am Tempel römische Wachen ermordet haben soll, den Juden vor. Laut Markus war es üblich, dass der römische Statthalter am Paschafest den Juden einen Gefangenen freigab, und zwar den, um den sie baten, egal, wer es war. Als Pilatus die Menge fragt, welchen Gefangenen er freilassen soll – Jesus, den Prediger, der Hochverrat gegen Rom begangen hat, oder Barabbas, den Aufrührer und Mörder –, fordern die Menschen die Freilassung des Aufrührers und die Kreuzigung des Predigers.
    Pilatus, dem bei dem Gedanken, einen unschuldigen jüdischen Bauern hinrichten lassen zu müssen, gar nicht wohl ist, fragt: «Was hat er denn für ein Verbrechen begangen?»
    Doch die Menge fordert nur noch lauter den Tod Jesu. «Kreuzige ihn!» (Mk  15 , 1 – 20 )
    Die Szene widerspricht jeglicher Logik. Lassen wir außer Acht, dass es außerhalb der Evangelien nicht die Spur eines historischen Beweises für einen solchen Pascha-Brauch von Seiten irgendeines römischen Statthalters gibt. Wirklich außerhalb jeder Vorstellungskraft liegt das Bild des Pontius Pilatus – eines Mannes, der bekannt war für seinen Hass auf die Juden, seine völlige Verachtung jüdischer Rituale und Bräuche und seine Neigung zum wahllosen Unterzeichnen so vieler Hinrichtungsbefehle, dass in Rom eine offizielle Beschwerde gegen ihn einging –, wie er auch nur einen Moment seiner kostbaren Zeit darauf verschwendet, über das Schicksal eines jüdischen Unruhestifters, von denen es mehr als genug gibt, nachzudenken.
    Warum wohl erfand Markus eine so offenkundig fiktive Szene, die sein jüdisches Publikum doch sofort als falsch erkennen musste? Die Antwort lautet ganz schlicht und einfach: Markus schrieb nicht für ein jüdisches Publikum. Markus’ Leser saßen in Rom, wo auch er selbst lebte. Sein Bericht über Leben und Tod des Jesus von Nazaret entstand nur wenige Monate, nachdem der Jüdische Aufstand niedergeschlagen und Jerusalem zerstört worden war.
    Wie die Juden hatten auch die frühen Christen Schwierigkeiten, dem Trauma des Jüdischen Aufstands und seiner Folgen einen Sinn abzugewinnen. Genauer gesagt: Sie mussten Jesu revolutionäre Botschaft und seine Identität als königlicher Menschensohn im Licht der Tatsache, dass sich das Reich Gottes, auf das sie warteten, ausblieb, ganz neu deuten. Für die im ganzen Römischen Reich verstreuten Verfasser der Evangelien war es nur natürlich, sich von der jüdischen Unabhängigkeitsbewegung zu distanzieren, indem sie so weit wie möglich alle Hinweise auf Radikalismus und Gewalt, Revolution oder Zelotentum aus der Geschichte Jesu entfernten und Jesu Worte und Taten der neuen politischen Situation anpassten, in der sie sich jetzt wiederfanden. Etwas leichter wurde diese Aufgabe dadurch, dass viele in der christlichen Gemeinde Jerusalems den Krieg mit Rom offenbar als ein willkommenes Zeichen des Zeitenendes sahen, das ihnen ihr Messias verheißen hatte. Nach Aussage des Eusebius von Cäsarea, eines Historikers des 4 . Jahrhunderts, waren viele Christen Jerusalems auf die andere Seite des Jordan geflohen. «Die Kirchengemeinde in Jerusalem», schrieb Eusebius, «hatte in einer Offenbarung, die ihren Führern zuteil geworden war, die Weissagung erhalten, noch vor dem Kriege die Stadt zu verlassen und sich in einer Stadt Peräas namens Pella niederzulassen.» (Eusebius von Cäsarea,
Kirchengeschichte
. Übersetzt von Philipp Haeuser. München 1932 , S.  104 f.) Den meisten Quellen zufolge wurde die Kirche, die sie zurückließen, 70  n. Chr. niedergerissen, und alle Anzeichen der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem verschwanden unter einem Berg aus Schutt und Asche.
    Als der Tempel in Trümmern lag und das Judentum zur Außenseiterreligion wurde, mussten die Juden, die dem Messias Jesus folgten, eine Entscheidung treffen: Sie konnten entweder ihre kultischen Verbindungen zur Religion ihrer Väter aufrechterhalten und damit auch deren Feindschaft zu Rom teilen (Roms Feindschaft gegenüber den Christen sollte erst sehr viel später ihren Höhepunkt erreichen), oder sie konnten sich vom Judentum trennen und ihren Messias von einem glühenden jüdischen Nationalisten in einen pazifistischen Prediger guter Werke verwandeln, dessen Reich nicht von dieser Welt war.
    Aber nicht nur die Angst vor der römischen Vergeltung prägte diese frühen Christen. Nach der Zerstörung und

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