Zentauren-Fahrt
aus einer Nachbarzelle, die von der seinen durch gewaltige Steinhaufen und Holzbalken abgetrennt war. Dies hier mußte das Untergeschoß der Burg sein, die Zellen hatte man mit Sicherheit aus dem Fundament ausgehoben. Zwischen den Stützbalken gab es Ritzen, durch die er zwar seinen Arm, nicht aber seinen ganzen Körper schieben konnte.
»Irene?« fragte er.
»Ach, Dor!« erwiderte sie sofort unter Tränen. »Ich dachte schon, ich wäre völlig allein. Was ist mit uns passiert?«
»Man hat uns betäubt und in den Kerker geworfen«, sagte er. »König Oary muß dasselbe schon mit deinen Eltern getan haben.« Er konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, woher er das wußte, und auch nicht daran, wie er selbst betäubt worden war; was die jüngsten Ereignisse anging, schien sein Gedächtnis einige Lücken aufzuweisen.
»Aber warum denn? Mein Vater ist doch nur hierhergekommen, um Handelsbeziehungen zu knüpfen.«
»Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, daß König Oary ein Thronräuber ist. Vielleicht hat er ja den rechtmäßigen König ermordet, und deine Eltern haben es herausbekommen. Oary wußte, daß er uns nicht lange etwas würde vormachen können, also hat er auch auf uns einen heimtückischen Anschlag verübt.«
»Was sollen wir jetzt tun?« fragte sie in hysterischem Ton. »Ach, Dor, ich habe mich noch nie so entsetzlich gefühlt!«
»Ich glaube, das ist die Droge«, sagte er. »Ich fühle mich auch schlecht. Das müßte mit der Zeit nachlassen. Wenn wir unsere Magie zur Verfügung haben, können wir uns vielleicht auch befreien. Hast du deinen Samenbeutel?«
Sie sah nach. »Nein, nur meine Kleider. Hast du dein Gold und die Edelsteine?«
Nun war er an der Reihe, nachzusehen. »Nein, sie müssen uns durchsucht und uns alles abgenommen haben, was sie für wertvoll oder gefährlich hielten.« Doch dann entdeckten seine suchenden Finger einen kleinen Gegenstand. »Ich habe den Salbentopf. Nicht daß der uns hier viel nützen dürfte. Und meinen Mitternachtssonnenstein, der ist mir in den Jackensaum gerutscht. Mal sehen…« Er holte ihn hervor. »Nein, wohl doch nicht. Der hier strahlt kein Licht ab.«
»Wo sind die anderen?«
»Ich werd’s nachprüfen«, sagte er. »Boden, wo sind meine Gefährten?«
Keine Antwort. »Das bedeutet, daß wir keine Magie besitzen. Arnolde muß im Stall sein.« Er erinnerte sich dunkel an irgend etwas dieser Art.
»Was ist mit Krach und Grundy?«
»Hier«, rief der Oger aus der gegenüberliegenden Zelle. »Kopf tut weh. Ganz schlapp.«
Jetzt gab es keine Zweifel mehr: ihre Magie war fort. Der Oger konnte nicht mehr reimen, und Irenes Haar hatte bestimmt seine grüne Tönung verloren. Und ohne seine Kraft konnte der Oger sich wahrscheinlich kaum allein aus seinem Kerker befreien.
»Grundy?« rief Dor.
Er erhielt keine Antwort. Anscheinend war Grundy der Gefangennahme entgangen. Damit hatte ihr Glück aber auch schon wieder sein Ende.
»Habe Panzerfäuste«, sagte Krach.
Also noch ein Glückstreffer. Wenn der Oger seine Kraft zurückgewinnen sollte, würden diese Panzerfäuste ihnen gute Dienste leisten. Wahrscheinlich hatten die Burgwachen nicht erkannt, daß diese Eisenhandschuhe nicht zu dem Oger gehörten, da er sie auch beim Essen getragen hatte. In diesem Fall hatten sich die schlechten Tischmanieren des Ogers sogar einmal ausgezahlt.
Dors Kopf wurde langsam klarer. Er rüttelte an seiner Zellentür. Sie war aus solidem mundanischem Holz, etwas abgenutzt, aber immer noch intakt genug, um jeden Ausbruch zu verhindern. Sie waren auch zu intakt für Krach in seinem gegenwärtigen Zustand; der Oger versuchte es, konnte seine Tür aber nicht vom Fleck bewegen. Wenn der Zentaur nicht in ihre Nähe kam, würde keiner von ihnen stark genug sein, um sich und die anderen zu befreien.
Die Türen schienen von außen mit irgendeinem unüberwindbaren Mechanismus gesichert zu sein. Im Zelleninneren wies der schleimige Boden nur eine einzige Kuhle auf, die nach alten Exkrementen stank. Aus Gründen der Hygiene würde man also auch niemanden aus der Zelle lassen.
Krach hieb mit einer Faust gegen die Mauer. »Au!« heulte er. »Jetzt brauch ich Zentaur.«
»Der hat durchaus seine Vorteile«, pflichtete Dor ihm bei. »Weißt du, Krach, Arnolde hat gar nicht wirklich Chets Platz an sich gerissen. Chet konnte wegen seiner Wunde sowieso nicht mitkommen, und Arnolde wollte gar nicht. Wir haben ihn eigentlich dazu gezwungen, indem wir sein magisches Talent offengelegt
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