Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
antwortete ich gereizt und leerte mein Bier in einem Zug. »Und ich muss jetzt auch zu ihr nach Hause.« Scheiß aufs Autofahren; ich würde zu Fuß gehen.
Ich wuchtete mich von meinem Hocker runter, wurde aber von ihrer Stimme aufgehalten. »Ich habe gehört, dass Sie nicht mehr klagen.«
Langsam drehte ich mich zu ihr um. »Das stand nicht in der Zeitung.«
Plötzlich sah sie ganz und gar nicht mehr albern aus. Ihr Blick war durchdringend, und sie sah mir direkt in die Augen. »Warum wollten Sie aus der Klage raus?«
War sie eine Reporterin? War das eine Falle? Mein Instinkt schlug Alarm – zu spät. »Ich versuche nur zu tun, was für Willow das Beste ist«, murmelte ich, kämpfte mich in mein Jackett und fluchte, als sich ein Ärmel am Thekengeländer verfing.
Taffy Lloyd legte eine Visitenkarte vor mich auf die Bar. »Das Beste für Willow«, sagte sie, »ist, wenn es nie zu diesem Prozess kommt.« Mit einem Nicken warf sie sich ihren Leopardenmantel über die Schulter und ging zur Tür. Ihr Martini war noch mehr als halb voll.
Ich nahm die Karte und fuhr mit den Fingern über die schwarzen geprägten Lettern:
Taffy Lloyd, Ermittlerin
Booker, Hood & Coates
Ich fuhr. Ich fuhr Routen, die ich sonst mit meinem Streifenwagen nahm. Ich fuhr Achten, bei denen ich dem Zentrum von Bankton immer näher kam. Ich beobachtete ein paar Sternschnuppen und fuhr in ihre Himmelsrichtung. Ich fuhr, bis ich die Augen kaum noch aufhalten konnte, bis weit nach Mitternacht.
Ich schlich mich ins Haus und tastete mich im Dunkeln zur Wäschekammer vor, um meine Decken und Kissen zu holen. Plötzlich fühlte ich mich vollkommen erschöpft. Ich war so müde, dass ich kaum noch stehen konnte. Ich ließ mich aufs Sofa fallen und vergrub mein Gesicht in den Händen.
Was ich nicht verstehen konnte, war, wie es so weit hatte kommen können – und vor allem so schnell. Eben noch stürmte ich aus der Anwaltskanzlei, und schon hatte Charlotte einen neuen Termin gemacht. Ich konnte ihr das nicht verbieten, aber um ehrlich zu sein, hatte ich nie damit gerechnet, dass sie die Klage wirklich durchzieht. Charlotte war nicht gerade risikofreudig. Doch genau da lag der Denkfehler: Für Charlotte ging es hier nicht um sie; es ging um dich.
»Daddy?«
Ich blickte auf und sah dich vor mir stehen, weiß wie ein Geist. »Warum bist du denn so spät noch auf?«, fragte ich. »Es ist mitten in der Nacht.«
»Ich habe Durst.«
Ich ging in die Küche, und du bist mir hinterhergetapst. Du hast dein rechtes Bein geschont. Ein anderer Vater hätte sich dabei vielleicht gedacht, seine Tochter schlafe noch halb, doch ich dachte unwillkürlich an Mikrofrakturen und ausgekugelte Hüftgelenke. Ich machte dir ein Glas Wasser und lehnte mich an die Arbeitsplatte, während du trankst. »Okay«, sagte ich dann und hob dich auf den Arm, weil ich nicht zusehen wollte, wie du dich mühsam die Treppe hinaufschleppst. »Du solltest schon längst schlafen.«
Du hast die Arme um meinen Hals geschlungen. Auf halbem Weg die Treppe hinauf hast du gefragt: »Daddy, warum schläfst du nicht mehr in deinem Bett?«
Ich blieb kurz stehen. »Ich mag die Couch. Die ist viel bequemer.«
Leise schlich ich in euer Zimmer, um Amelia nicht zu stören, die friedlich vor sich hin schnarchte. Dann steckte ich dich unter die Decke. »Ich wette, wenn ich nicht so wäre, wie ich bin«, hast du gesagt, »wenn meine Knochen nicht brüchig wären … dann würdest du noch immer oben schlafen.«
Im Dunkeln konnte ich das Glänzen deiner Augen und die sanfte Rundung deiner Wangen sehen. Ich konnte sehen, wie du als Erwachsene sein würdest. Diese sture Entschlossenheit, die stumme Akzeptanz des Unvermeidlichen bei jemandem, der es gewohnt war, ständig gegen Windmühlen anzukämpfen … In diesem Augenblick hast du mich vor allem an einen Menschen erinnert: an deine Mutter.
Anstatt wieder runterzugehen, ging ich ins Elternschlafzimmer. Charlotte schlief rechts, das Gesicht der leeren Seite zugewandt. Vorsichtig setzte ich mich auf die Bettkante und versuchte, mich so wenig wie möglich zu bewegen, während ich die Decke aufschlug. Ich rollte mich auf die Seite.
Hier zu liegen, in meinem eigenen Bett und neben meiner eigenen Frau, fand ich ganz natürlich und zugleich unangenehm. Es war, als ob man ein großes Puzzle beendete, indem man das letzte Stück, das nicht passte, mit Gewalt in die Lücke drückte. Ich schaute Charlotte an. Sie hatte die Hand auf der Decke zur Faust
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