Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Verhandlungssaal war voll: Medienvertreter, Repräsentanten von Behindertenvereinigungen und Leute, die einfach nur eine gute Show sehen wollten. Charlotte zitterte neben mir und starrte in ihren Schoß. »Miss Gates«, sagte Richter Gellar. »Wann immer Sie so weit sind.«
Ich drückte Charlottes Hand, stand auf und drehte mich zu den Geschworenen um. »Guten Morgen, Ladys und Gentlemen«, sagte ich. »Ich würde Ihnen gerne von einem kleinen Mädchen namens Willow O’Keefe erzählen.«
Ich trat auf sie zu. »Willow ist sechseinhalb Jahre alt und hat sich in ihrem kurzen Leben schon achtundsechzig Knochen gebrochen. Der letzte Knochenbruch war Freitagabend, als ihre Mom von der Geschworenenwahl nach Hause kam. Willow ist gelaufen und ausgerutscht. Sie hat sich den Oberschenkel gebrochen, und der Knochen ist bei einer Operation genagelt worden. Aber Willow hat sich auch schon beim Niesen Knochen gebrochen. Und wenn sie gegen einen Tisch gestoßen ist und wenn sie sich im Schlaf umgedreht hat. Willow hat nämlich Osteogenesis imperfecta, eine Krankheit, die Sie vielleicht unter dem Namen ›Glasknochenkrankheit‹ kennen. Das heißt, ihr ganzes Leben wird von Knochenbrüchen begleitet sein.«
Ich hob die rechte Hand. »In der zweiten Klasse habe ich mir einmal den Arm gebrochen. Lulu, unser Klassenrüpel, hat es für komisch gehalten, mich von der Rutsche zu schubsen, um zu sehen, ob ich fliegen kann. Ich habe kaum noch Erinnerungen daran, weiß aber noch, dass es höllisch wehgetan hat. Willow hat bei einem Bruch genauso große Schmerzen wie Sie oder ich. Der Unterschied ist nur, dass ihre Knochen viel leichter brechen. Aus diesem Grund ist ihr Leben eine Serie von Genesungsprozessen, Rückschlägen, Therapien und Operationen, ein Leben voller Schmerzen. Und für ihre Mutter, Charlotte, bedeutete Osteogenesis imperfecta das Ende ihres bisherigen Lebens.«
Ich kehrte wieder zu unserem Tisch zurück. »Charlotte O’Keefe war eine erfolgreiche Spitzenkonditorin, deren Körperkraft ein entscheidendes Element in ihrem Beruf war. Sie war es gewohnt, fünfzig Pfund schwere Mehlsäcke durch die Gegend zu wuchten und Teig zu kneten … und nun zeugt jede ihrer Bewegungen von großem Feingefühl, da ihre Tochter sich schon etwas brechen könnte, wenn sie nur falsch hochgehoben wird. Wenn Sie Charlotte fragen, wird sie Ihnen sagen, wie sehr sie Willow liebt. Sie wird Ihnen sagen, dass ihre Tochter sie nie enttäuscht. Aber über ihre Gynäkologin kann sie das nicht sagen, Piper Reece – ihre Freundin, Ladys und Gentlemen –, die wusste, dass es ein Problem mit dem Fötus gab, und die es versäumt hat, Charlotte darüber zu informieren, sodass sie Entscheidungen hätte treffen können, wie sie jeder werdenden Mutter zustehen.«
Erneut drehte ich mich zu den Geschworenen um und breitete die Arme aus. »Ladys und Gentlemen, bitte glauben Sie nicht, dass es in diesem Fall um Gefühle geht. Es geht nicht darum, ob Charlotte O’Keefe ihre Tochter vergöttert, denn das tut sie. In diesem Fall geht es um Fakten – Fakten, die Piper Reece gewusst und abgetan hat. Fakten, die eine Patientin nicht von ihrer Ärztin mitgeteilt bekam – der Ärztin, der sie vertraut hat. Niemand gibt Dr. Reece die Schuld an Willows Zustand; niemand behauptet, sie habe die Krankheit verursacht. Aber Dr. Reece ist schuldig, weil sie den O’Keefes nicht alle Informationen gegeben hat, die sie selbst hatte. Sie müssen wissen, dass auf Charlottes Ultraschallaufnahme aus der achtzehnten Woche bereits Anzeichen darauf hindeuteten, dass der Fötus unter Osteogenesis imperfecta litt … Anzeichen, die Dr. Reece ignoriert hat«, sagte ich.
»Stellen Sie sich vor, Sie, die Jury, kämen in diesen Gerichtssaal und erwarteten von mir, Ihnen die Einzelheiten dieses Falles zu erklären, und das täte ich dann auch – aber eine kritische Information würde ich Ihnen vorenthalten. Und jetzt stellen Sie sich vor, Wochen nachdem Sie Ihr Urteil gefällt haben, erführen Sie von dieser Information. Wie würden Sie sich dann fühlen? Wütend? Besorgt? Hintergangen? Vielleicht würden Sie sogar schlecht schlafen und sich fragen, ob diese Information Ihr Votum geändert hätte – vorausgesetzt, Sie hätten sie früh genug gewusst«, sagte ich. »Würde ich solch eine Information vor Gericht zurückhalten, wäre das ein Grund für eine Berufung. Aber wenn eine Ärztin ihrer Patientin Informationen vorenthält, ist das ein Kunstfehler.«
Ich ließ meinen
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