Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
kannte nicht anderes und ließ den „nichtsnutzigen Unterricht“ der Dorfschule, wie ihn Zorghk zu nennen pflegte, über sich ergehen. Die Zeit danach verbrachte sie beim grummeligen Airen, um dann zu dem Ort zurückzukehren, an dem sie den Morgen begonnen hatte. So schloss sich der Kreis, nur um am nächsten Tag von vorne beginnen zu können.
In dem kleinen Häuschen, tief im Wald versteckt, las Serena die Geschichte der Landen aus der Sicht der Airen und lernte die Welt aus dem Blickwinkel eines Volkes kennen, das nicht das ihre war. Die Texte, die ihr Zorghk gab, bestanden häufig nur aus Auflistungen von Namen bedeutender Krieger und ihrer geschlagenen Schlachten. Nachdem Serena die Clanzugehörigkeit der Schlüsselfiguren nennen und sie zeitlich den richtigen Häuptlingen zuordnen konnte, ließ Zorghk sie verschiedene Karten der Lande studieren, in deren Zentrum sich immer das Teffelof Gebirge befand.
Zorghk ließ nicht locker, bis Serena ihm sagen konnte, wo im Gebirge, welcher Krieg, warum stattgefunden hatte. Was an sich nicht schwierig war, da es sich bei den meisten Kriegen um Auseinandersetzungen mit den Senjyou handelte. Allein der Streit darüber, wessen Stammesbaum weiter zurückreichte, war Grund für 69 größere kriegerische Auseinandersetzungen. Während sich die Airen mit den Bergen selbst identifizierten und ihr Volk mit dem Gebirge geborenen worden war, verfolgten die Senjyou die Entstehung ihrer Rasse zurück zum ersten Trieb in den Landen. Für beide Rassen war das jeweilige Ereignis gleichbedeutend mit dem Anfang allen Lebens.
Ihre Lebensräume waren so unterschiedlich, dass keiner der beiden Völker wirklich Interesse an der Eroberung des Gebiets des anderen hatte. Dennoch führten diese beiden Rassen mehr Kriege untereinander als jedes andere Volk in den Landen. Die Airen dachten nie daran, das Waldgebiet der Senjyou zu erobern, und die Senjyou fühlten sich in den Gipfeln, wo kaum etwas wuchs, nicht zuhause. Trotz allem wurde die Abneigung zwischen den so unterschiedlichen Völkern mit jeder Generation immer tiefer und wandelte sich in Hass.
Meist waren es leichtfertige Äußerungen, Beleidigungen oder einfach nur Missverständnisse, die zu einer Auseinandersetzung führten. Die Airen waren ein impulsives Volk. Feurig wie ein Vulkan ließen sie sich selten eine Auseinandersetzung entgehen. Zank und Streit lagen in ihrer Natur und waren nicht weit davon offiziell als Sport anerkannt zu werden. Der Stolz der kalten und berechnend Senjyou brachte sie dazu, zu glauben, die Ehre ihres Volkes mit Waffengewalt verteidige zu müssen.
Beide Völker galten als die langlebigsten Rassen der Lande. Während die Vostoken im Osten gelegenen Flachland selten ein Jahrhundert überschritten, lebten Arien und Senjyou mehrere Jahrhunderte. Meist starben sie eines gewaltsamen Todes, sodass man nicht sagen konnte, wie hoch ihre Lebenserwartung wirklich war. Langlebig und nachtragend. Zwei Dinge, die sich nicht gut auf nachbarschaftliches Verhältnis auswirken, vor allem nicht, wenn die Nachbarn so unterschiedlich waren wie Feuer und Eis. Stolz traf auf Sturheit, gepaart mit wenig Toleranz gegenüber anderen Traditionen und Denkweisen.
Serena erinnerte sich an einen kleinen Absatz, der von diplomatischen Bemühungen berichtete. Seit fast fünfzig Jahren war kein größerer Krieg zwischen den Völkern ausgebrochen. Hier und da hatte es kleinere Auseinandersetzungen gegeben, jedoch keine Eskalationen und das in einer Zeitspanne, in der zuvor von einem oder zwei Kriegen berichtet worden war.
Während ein gemeinsames Feindbild sowohl das Volk der Airen als auch das der Senjyou vereinte, kam es lange Zeit bei den Ostvölkern zu Auseinandersetzungen untereinander. Meist ging es um die Vormachtstellung in wirtschaftlich oder politisch wichtigen Gebieten. Sie schienen keinen Anfang zu haben und kein Ende zu nehmen. Krieg war jahrhundertelang Normalzustand im Osten. Es gab Familien und Häuser wie Sand am Meer, die meinten ihr Blut sei reiner und älter als das ihrer Nachbarn und glaubten das Recht zu haben, sich mit Gewalt nehmen zu können, was sie wollten.
Dann erhob sich eine mächtige Familie in Vandera. Es war der blutigste aller Kriege, aber der Osten war zum ersten Mal unter einem Herrscher geeint und der Thron von Vandera entstand. Bereits in der vierten Generation herrschte des Hause Karolev über das östliche Flachland. Es war eine Zeit des Friedens eingekehrt und die einst verfeindeten Häuser
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