Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
blieben als Volk der Vostoken vereint. Dank der innenpolitischen Ruhe konnten sich die Vostoken nun auf die Ausdehnung ihres Gebietes und die Bekämpfung ihrer Grenzfeinde konzentrieren. Da die königliche Armee einen stetigen Andrang von freiwillige Rekruten fand, die von Ruhm und Ehre träumten, konnte sie die territorialen Ambitionen ihrer Könige befriedigen und die Grenzen sichern.
Serena studierte wie so oft die Karte, die vor ihr ausgebreitet lag. Im östlichen Flachland der Vostoken, gab es mehrere kleine Waldvorkommen und eine Küste zog sich von Nordosten bis Südosten. Im Südwesten bedeckte ein riesiger Wald die Karte: das Hoheitsgebiet der Senjyou. Daran grenzte das Teffelof Gebirge, die Heimat der Airen. Westlich davon war nur Wüste eingezeichnet. In der Mitte trafen Wald, Gebirge und Flachland aufeinander und breiteten sich in einem öden, kargen Gesteinsland aus, über das kaum etwas bekannt war. Es kehrten nur wenige von denen zurück, die sich aufmachten das Land dort zu erkunden. Nördlich von dem Kargland und dem Ostland lag das weiße Schneeland, in dem immer Winter herrschte. Kalt und kahl bot es keinen Lebensraum, den es zu erobern lohnte.
Serena verlor sich in der Betrachtung der Karte und hatte die Aufgabe, die ihr Zorghk gestellt hatte, bereits vergessen, als diesem der Geduldsfaden riss.
„Die Gründe der Kriege!“, brüllte Zorghk aufgebracht und schmückte das Ganze mit Beleidigungen in der Airensprache aus, die Serena nicht verstand.
„Es geht immer um Macht und Territorium. Grenzkämpfe und kulturelle Unterschiede“, schrie der übellaunige Airen. Während er sonst immer neben Serena im Schaukelstuhl saß und im Schlaf so sehr schnarchte, dass der Stuhl von dem Lufteinzug und -ausstoß auf und ab wippte, sprang er jetzt mit hochrotem Kopf aufgeregt hin und her. Wenn man sich Zorghks Nase betrachtete war es völlig unverständlich, warum er schnarchte. Sie war so breit und die Nasenlöcher so groß, dass sie ohne Probleme zwei Lungen mit Sauerstoff versorgen könnten.
Serena speicherte die Information ab, ohne weiter darüber nachzudenken. Mit den Armen fuchtelnd und den Beinen stampfend ging Zorghk zu der Falltür im Zentrum seines kleinen Hauses, stieg die Treppen hinunter und verschwand im Dunkeln. Jetzt konnte das richtige Training beginnen. Serena folgte Zorghk zum Trainingsraum, der dreimal so breit und zweimal so hoch wie das kleine Haus war, das etwas versetzt darüber gebaut worden war. Bis auf die Kiste mit den verschiedenen Waffen war der Raum leer. An jeder Wand waren zwei Fackeln als Lichtquellen für Serena angebracht.
Zorghk, der die guten Augen eines Airen hatte, konnte sich in der Dunkelheit fast ohne jegliches Licht bewegen. Um jedoch Serena eine Chance einzuräumen, das harte Training zu überleben, hatte er extra Lichtquellen angebracht. Sie sollte ja nicht in die Spitze ihres eigenen Schwertes oder ihrer Lanze stolpern. Anfangs hatten sie waffenlos gekämpft, mit der Zeit hatte ihr Zorghk jedoch den Umgang mit verschiedenen Waffen beigebracht. Am angenehmsten lag Serena der gekrümmte Stab in der Hand, auch wenn sie damit wenig Chance gegen Zorghks Lieblingswaffe hatte: die mächtige Streitaxt.
In regelmäßigen Abständen ging Zorghk mit Serena in den Wald. Er brachte ihr Spurenlesen bei, machte mit ihr Jagd auf verschiedene Tiere, zeigte wie man sich aus Moos und Laub ein bequemes Bett baute und ein Lagerfeuer entzündete. Der Wald gehörte nicht zu Zorghks natürlichen Umgebung. Doch er wusste genug, um zu überleben, und gab sein Wissen an Serena weiter, die Tochter des Mannes, von dem er das Meiste davon gelernt hatte.
Wenn Serena einige Zeit nicht in der Schule auftauchte und sich Zuhause nicht blicken ließ, vermisste sie keiner. In den Augen der Mitschüler und manchmal auch in Frau Schimmerlin zeichnete sich Enttäuschung ab, wenn sie nach einigen Tagen wieder zum Unterricht erschien.
Doch Serena kannte es nicht anderes und es ließ sie unberührt, wie alles andere auch. Sie verbrachte Pause um Pause etwas entfernt von ihren Mitschülern auf ihrem kleinen Baumstumpf. Anfangs saß sie auf dem kargen Boden, doch eines Tages lag ein kleiner länglicher Baumstumpf genau dort, wo Serena ihre Pause zu verbringen pflegte. Ohne darüber nachzudenken, setzte sich die damals noch kleine Serena auf den Baumstumpf und nahm gemütlich ihr karges Mal zu sich. Woher er plötzlich kam, hatte sie nicht interessiert. Sie hatte ihn, wie alles andere auch, einfach
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