Zerfetzte Flaggen
zurückzugewinnen.
Er keuchte: »Welches Geschütz ist geladen?«
Damit stolperte er den Hang hinunter, die Pistole noch ungeladen, den Dolch noch in der Scheide, den sein Vater extra für ihn beim besten Messerschmied der Londoner City hatte anfertigen lassen.
Rowhurst, verwirrt und bestürzt über den Wechsel der Ereignisse, hielt an und starrte auf den sich blind vorwärts tastenden Leutnant.
Es war Wahnsinn, nochmals mit ihm zu den Kanonen zu gehen.
Ihre einzige Chance lag in einer schnellen Flucht zu den Toren des Forts, jedes weitere Verweilen verringerte die Aussicht auf Überleben.
Rowhurst war Freiwilliger und stolz darauf, einer der besten Artilleriemaaten der ganzen Flotte zu sein. Wenn das Schicksal ihn weiterhin begünstigte, konnte er in etwa einem Monat mit Beförderung zum Deckoffizier und der Versetzung auf ein anderes Schiff rechnen.
Er beobachtete Quinns jämmerliche Bemühungen, ein Geschütz zu finden, das noch geladen und wegen der Flucht der Bedienungsmannschaft nicht abgefeuert war. So oder so bedeutete es für ihn das Ende. Wenn er blieb, würde er mit Quinn zusammen sterben.
Wenn er flüchtete, würde Quinn ihn des Ungehorsams und der Ungebührlichkeit gegenüber einem Offizier beschuldigen.
Er seufzte tief auf und entschloß sich zu bleiben.
»Hier, dieses ist es!« Und mit einem gezwungenen Grinsen fügte er hinzu: »Sir!«
Ein an den Rädern lehnender Leichnam zuckte, als mehrere Schüsse ihn trafen. Es war, als erwachten die Toten wieder zum Leben, um Zeugen dieses äußersten Wahnsinns zu sein.
Das Donnern des Geschützes, als die doppelte Ladung Schrot und Kugeln in die dichten Reihen der Angreifer schlug, schien Quinn wieder zur Besinnung zu bringen. Benommen tastete er nach seinem wundervoll ziselierten Dolch, seine Augen tränend, seine Ohren betäubt von dem Krach der Detonation.
Alles, was er sagen konnte, war: »Danke, Rowhurst, danke!«
Aber Rowhurst hatte mit seinen trüben Ahnungen recht behalten.
Er lag im nassen Sand und starrte mit weit offenen Augen in den Rauch; in der Mitte seiner Stirn klaffte ein kreisrundes Loch. Kein Artilleriemaat hätte besser zielen können.
Quinn ging wie im Traum davon. Die weißen Hosen toter Soldaten schimmerten in der Dunkelheit, starrende, gebrochene Augen und verstreute Waffen kennzeichneten den Ort des Grauens.
Quinn merkte jetzt, daß Lärm und Hurrageschrei vom Damm her verstummt waren. Die anderen hatten wohl auch genug.
Er hielt an, plötzlich wieder gespannt und kampfbereit, als einige Gestalten vor ihm auftauchten. Aber es waren Bolitho, Stockdale und zwei Seesoldaten.
Quinn blickte zu Boden; er wollte sprechen, erklären, was Ro whurst getan, wozu er ihn getrieben hatte. Doch Bolitho ergriff ihn am Arm und sprach beruhigend auf ihn ein. »Der Korporal hat mir alles erzählt. Ohne deinen Einsatz wäre jetzt niemand außerhalb des Forts mehr am Leben.«
Sie warteten, wä hrend die Linie der Marineinfanteristen vom Fort her vorrückte und die zerschlagenen und blutenden Reste der Ve rteidiger in eine vorläufige Sicherheit passieren ließ.
Bolithos ganzer Körper schmerzte, sein rechter Arm war schwer wie Blei. Er verspürte noch immer die Angst und Verzweiflung der vergangenen Stunden: das Stampfen und Schnauben der Pferde, die aus dem Dunkel schlagenden und stechenden Säbel und dann den plötzlichen, verbissenen Widerstand seiner eigenen, zusammengewürfelten Truppe.
Couzens war von einem Pferd überrannt worden und besinnungslos, drei Seeleute waren tot. Ihn selbst hatte ein Säbelhieb an der Schulter getroffen, die Schneide hatte sich angefühlt wie ein glühendes Messer.
Jetzt waren die Pferde zurückgeschwommen oder mit der Strömung abgetrieben, einige ihrer Reiter aber waren geblieben, für immer.
D’Esterre stieß durch den dünner werdenden Qualm zu ihnen.
»Wir haben sie abgeschlagen. Es hat Verluste gekostet, Dick, aber es kann unsere Rettung gewesen sein.« Er nahm seinen Hut ab und fächelte sich damit das schweißüberströmte Gesicht. »Seht ihr?
Endlich hat der Wind gedreht. Wenn unser Schiff draußen steht, dann kann es jetzt hereinkommen.«
Er sah, wie ein Marineinfanterist vorbeigetragen wurde, dessen Bein bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert war. In der Dunkelheit schimmerte sein Blut wie frischer Teer.
»Wir müssen Ersatz zum Damm schicken. Ich habe schon neue Geschützbedienungen angefordert.« Couzens taumelte auf sie zu und rieb sich stöhnend den Kopf. »Gut, daß er soweit in
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