Zero Day
rieb sich nervös die Finger. »Möchten Sie einen Kaffee mit mir trinken?«, fragte sie, als sie aufblickte. »Mir ist nach etwas Frischluft zumute.«
Puller stand auf. »Ich lade Sie ein.«
»Nein«, widersprach Carson hastig. »Ich glaube, das ist meine Sache, Soldat.«
55
In dieser Gegend Arlingtons gab es zahlreiche Möglichkeiten, Kaffee zu trinken. Puller und Carson kamen an mehreren Lokalen vorüber, aber alle erwiesen sich als überfüllt mit gackernden Teenagern und ihren Smartphones und Laptops. Also ließen sie diese Etablissements hinter sich und betraten abseits der bevölkerten Hauptstraße ein Café, in dem sie momentan als einzige Gäste Platz nehmen durften. Die Luftfeuchtigkeit hatte abgenommen; die Luft fühlte sich frisch und erquickend an. Sie setzten sich an ein offenes Fenster.
Nachdem Puller einen Schluck heißen Kaffees geschlürft hatte, stellte er den Becher ab und musterte Carson. Bevor sie gemeinsam die Eigentumswohnung verließen, hatte sie ein wei ßes, langärmeliges T-Shirt und Nike-Sneakers angezogen. Um die Augen hatte sie Falten, sogenannte Krähenfüße, die tiefer aussahen als bei einer Zivilistin gleichen Alters. Menschen zu führen, die Waffen trugen, hatte solche Folgen. Das blonde Haar hob sich stark von der Sonnenbräune ab. Sie war attraktiv und äußerst sportlich, und sie verhielt sich, als wüsste sie das ganz genau. Puller wusste, dass sie zweiundvierzig Jahre alt war und sich den Stern tatsächlich erschuftet hatte. Es lag ihm fern, ihr die Karriere zu versauen. Jeder Mensch hatte das Recht, in seinem Beruf einmal einen ernsten Fehler zu begehen, und den hatte sie nach aller Wahrscheinlichkeit kürzlich gemacht.
»Die grüne Ausgehuniform steht Ihnen gut«, sagte sie. »Tragen Sie sie aus besonderem Anlass?«
»Ich war im Armee- und Marine-Club. Dort soll man gut aussehen.«
Sie nickte und nippte am Kaffee. »Vor rund vier Wochen hat Matthew mich angerufen«, sagte sie unvermittelt, als wünschte sie die Aussprache möglichst zügig hinter sich zu bringen. Sie sah Puller nicht an. Vielmehr hielt sie den Blick auf die Tischplatte gesenkt.
»Und was hat er erzählt?«
»Er sei über etwas gestolpert. Genau so hat er sich ausgedrückt. Über etwas gestolpert. Es gab keinerlei Planung. Und ich hatte ihm bestimmt keinen Auftrag erteilt. Er pendelte lediglich hin und her, um an den Wochenenden mit seiner Frau und den Kindern zusammen sein zu können. Sein Anruf hat mich völlig überrascht.«
»Na schön.« Puller trank einen weiteren Schluck Kaffee und setzte den Becher ab.
»Er hatte jemanden kennengelernt, der dort in etwas verwickelt war«, sagte Carson. »Halt, nein, ich muss mich berichtigen: jemanden kennengelernt, der etwas herausgefunden hatte.«
»Wen und was?«
»Ich weiß nicht, wen.«
»Wie ist er der Person begegnet?«
»Durch Zufall, glaube ich. Jedenfalls war es nicht geplant.«
»Und wissen Sie, was es betraf?«
»Was es auch war, auf alle Fälle sah es nach einer wichtigen Sache aus. Matt hielt es für so bedeutsam, dass er die Meinung vertrat, wir müssten unsererseits jemanden darauf ansetzen.«
»Und warum haben Sie das nicht getan?«
»Weil ich zu wenig wusste.« Carson sprach schnell. »Ich wollte keinen Alarm schlagen und anschließend als Blamierte dastehen. Welche Anweisungen hätte ich erteilen sollen? Es fiel nicht in meine Zuständigkeit. Herrje, ich wusste nicht mal, ob es überhaupt irgendetwas mit dem Militär zu schaffen hatte. Für mich war es eine vollkommen unklare Situation, Puller, das müssen Sie verstehen. Ich hatte keine Kennntis der Informationsquellen und keine Möglichkeit, die Informationen zu überprüfen. Gleiches galt für Matt. Er verließ sich auf Leute, die er gar nicht kannte.«
»Sie hätten trotzdem die Polizei verständigen können. Oder ihm nahelegen sollen, sich an die Polizei zu wenden.«
»Und was hätte er anzeigen sollen? Er hatte selber nicht genug Informationen. Ein Großteil seiner Beunruhigung beruhte auf einem Bauchgefühl.«
»War er der Ansicht, die Person, von der er Andeutungen bezog, sei ein verdeckter Ermittler?«
»Verdeckter Ermittler?«, wiederholte Carson fassungslos. »Sie meinen, ein Polizeibeamter?«
»Manchmal betätigen sich auch Zivilisten als verdeckte Ermittler, bisweilen sogar auf eigene Faust.«
»Wie oft kommt so was denn vor?«, fragte Carson voller Skepsis.
»Einmal würde reichen.«
»Einerlei, Matt hat nichts Derartiges erwähnt.«
»Und wozu haben Sie
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