Zero Option: Thriller
nicht ohne die spiegelnden Schaufenster der Modeboutiquen regelmäßig zur Ausschau nach Beschattern zu nutzen. Sein Radar meldete keinerlei Bedrohung. Trotzdem blieb er wachsam, während er sein Mittagessen verzehrte und anschließend zwischen dreizehn und fünfzehn Uhr, als die meisten Geschäfte ihre Mittagspause machten, diverse Renaissance-Paläste besichtigte.
Einer der Gründe, weshalb Victor so oft wie möglich nach Italien kam, war der, dass er hier keine unmittelbaren Feinde hatte. Nach der Konfrontation mit diesem Überwachungsteam in Minsk musste er besonders vorsichtig sein. Wer immer deren Auftraggeber sein mochte, er war womöglich jetzt schon auf seiner Fährte. Darum wollte Victor unbedingt wissen, um wen es sich handelte.
Als er sicher war, dass er alles Menschenmögliche getan hatte, um eventuelle Beschatter abzuschütteln, betrat er eine einfache Osteria und musterte die vielen unbekannten Gesichter, die sich ihm zuwandten. Er befand sich zwar immer noch in der Innenstadt, aber die Gegend hier war ärmer, schäbiger und abweisender als viele. Er suchte den Blickkontakt mit denen, die ihn anschauten, um klarzumachen, dass er kein leichtes Opfer war, brach aber so rechtzeitig ab, dass sein Blick nicht als Drohung missverstanden werden konnte. Die ins Stocken geratenen Gespräche wurden wieder aufgenommen, und er bestellte bei einer viel zu dünnen Bedienung eine Cola und setzte sich auf einen Barhocker. Er musste ein paarmal hin und her rutschen, bis er auf der harten Sitzfläche eine angenehme Position gefunden hatte. Ein alter Mann zwei Hocker weiter bat ihn um Feuer. Victor schüttelte den Kopf.
Er nippte an seiner Cola und wartete. Da die Ecktische alle besetzt waren, hatte er sich mit dem Rücken zu den anderen Gästen in der Bar an die Theke gesetzt. An der Wand hinter der Theke hing ein riesiger Spiegel, mit dem er das ganze Lokal im Blick hatte.
Es dauerte ein paar Minuten, bis sich jemand auf den Hocker direkt neben ihm setzte, ein kleiner, leicht übergewichtiger Mann mit dicken Armen und einem dunklen, ungepflegten Bart. Er musste ungefähr Mitte dreißig sein, und angesichts der gelben Nikotinflecken auf seinen Händen und Zähnen hatte er seine Lebensmitte bereits deutlich hinter sich.
»Wie man hört, sind Sie auf der Suche nach Giordano«, sagte der Mann, ohne Victor anzuschauen.
»Er ist sehr schwer aufzuspüren. Wissen Sie, wo er ist?«
»Ich weiß so vieles, ich fürchte, mein Gehirn ist zu klein, um das alles festzuhalten.«
»Wo könnte ich ihn denn antreffen?«
»Es tut mir sehr leid, aber das ist nicht möglich. Ich bin jedoch ein hilfreicher Mensch und hole ihn für Sie. Er ist wirklich extrem scheu, müssen Sie wissen.«
Victor wusste, dass das nicht stimmte. Aber wenn der Bärtige Victor verraten hätte, wo Giordano zu finden war, dann hätte er sich ja selbst überflüssig gemacht. Nur wenn er Victor im Dunkeln ließ, konnte er weiterhin als Mittelsmann fungieren und davon profitieren.
Victor klappte sein Portemonnaie auf und blätterte die Hundert-Euro-Scheine durch. Dann nahm er einen heraus und legte ihn auf die Theke, ließ aber den Finger darauf.
»Sagen Sie mir, wo ich Giordano finden kann.«
Der Mann griff nach dem Schein, aber Victor zog ihn weg.
»Wo?«, wiederholte er.
Der Mann schnaufte. »So funktionieren diese Dinge nicht. Gestatten Sie mir, dass ich Sie von diesem hässlichen Stück Papier befreie, dann kann ich Sie bekannt machen.«
»Also gut.« Victor steckte den Geldschein zurück in sein Portemonnaie. »Wann lässt sich das arrangieren?«
»Würde Ihnen morgen passen?«
»Zu spät«, erwiderte Victor, der jetzt verstanden hatte, wie das Spiel funktionierte.
»Aber diese Arrangements brauchen Zeit«, sagte der Mann.
»Und Geld?« Jetzt legte Victor zwei Hundert-Euro-Scheine auf die Theke. »Wie wär’s, wenn Sie mich jetzt gleich zu ihm bringen?«
Der bärtige Mann erwiderte: »Das klingt absolut annehmbar.«
Sie überquerten die Piazza Maggiore. Überall auf dem beeindruckenden Hauptplatz saßen Einheimische und Touristen, genossen die Sonne und die freundliche Atmosphäre der Stadt, während Tauben um Brotkrumen stritten und sich vor heranstürmenden Kindern in Sicherheit bringen mussten. Mittelalterliche Gebäude umschlossen den Platz von allen Seiten. Auf der Südseite erhob sich die Basilica San Petronio, die die gesamte Piazza dominierte. Ihre gewaltige Fassade war unvollendet. Der untere Teil bestand aus eleganten, abwechselnd
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