Zero Unit
Kontrollfreak, als den sie ihn kannte. Der Mann hatte stets für alles einen sorgfältig ausgearbeiteten Plan parat, an den sich dann immer peinlich genau gehalten wurde. Sein Schrank und die Kommode waren ordentlicher aufgeräumt als die Spinde in einem militärischen Ausbildungslager. Einmal hatte sie ihn sogar dabei erwischt, wie er seine T-Shirts bügelte, das musste man sich mal vorstellen! Auch während ihres Liebesspiels war er immer sehr dominant gewesen; hatte sie sogar häufig mit Handschellen an das Kopfende des Bettes gefesselt, damit sie gar nicht erst die Kontrolle übernehmen konnte.
Nicht gerade das, was man sich unter einem Katzenliebhaber vorstellte. Gregg van Halen war durch und durch ein Hundemensch.
Es war eher Gina, die Katzen mochte. Sie liebte alles typisch Katzenhafte, besonders aber die Unabhängigkeit der Tiere. Wie unberechenbar, launisch, stolz und unbezähmbar sie waren. Sich selbst genug. Wehe dem, der versuchte, einer Katze etwas aufzuzwingen.
Dennoch befand sich der Gegenbeweis direkt vor ihrer Nase – nicht nur in Form der Katze am Fenster, sondern auch durch das Futter auf der Anrichte. Diese Katze gehörte Gregg. Oder eher umgekehrt.
Sie ging zum Fenster und schob es weit genug hoch, damit das Tier hinein konnte.
Es war eine weibliche Katze. Ja, das passte wiederum.
»Hallo, Fellnase«, sagte Gina lächelnd, als die Katze auf den kleinen Küchentisch gehüpft kam und sich ausgiebig streckte, einen Buckel machte und zur Begrüßung das Köpfchen an ihr rieb – so, als ob sie Gina schon ewig kannte. Sie ließ sich ein wenig am Hals kraulen und entschied dann maunzend, es wäre jetzt genug geschmust, ehe sie vom Tisch auf die Anrichte sprang. Dort setzte sie sich demonstrativ und mit zuckendem Schwanz vor den Dosenöffner.
Gina lachte laut auf. Und erschrak über sich selbst, weil das Geräusch so ungewohnt war. Voll Staunen betrachtete sie die Katze. Es war acht Monate her, seit sie das letzte Mal gelacht hatte.
Dankbar ging sie zur Anrichte hinüber, nahm das Tier auf den Arm und knuddelte es. In ihrer unermesslichen Katzenweisheit ließ die Katze es geschehen und schmiegte sich sogar eng an Gina und leckte ihr mit der rauen Zunge über die Wange.
Gina ging das Herz auf. Wie schön es war, einen weichen, warmen Körper an ihrem zu spüren. Von einem Wesen, dass ihr garantiert nichts Böses tun würde. Seit ihrer Befreiung hatte sie bis auf ihre beste Freundin Rainie, die gleichzeitig ihre Krankenschwester gewesen war, niemanden näher an sich herangelassen. Eine Berührung der Hand war das Äußerste der Gefühle gewesen.
Als die Katze sich von ihr löste, öffnete Gina eine Dose Nassfutter und gab den Inhalt in eine Schüssel. Sie hätte schwören können, dass die kleine Fellnase lächelte, bevor sie darüber herfiel.
Das Tier beim Essen zu beobachten erinnerte Gina daran, dass sie besser auch etwas in den Magen bekommen sollte. Obwohl sie überhaupt keinen Hunger hatte. Ihren Appetit hatte sie schon vor Monaten endgültig verloren. Sie öffnete den Kühlschrank – und war froh, dass sie nicht allzu hungrig war. Denn er bot nicht viel: hauptsächlich Wasser und Biervorräte. Jede Menge Dips, darunter allein drei verschiedene Salsavarianten. Eier. Ein paar Plastikschüsseln mit Essensresten. Eine Tüte Salat. Milch. Gregg aß zum Frühstück gerne irgendwelche Flocken, fiel ihr wieder ein. Und Eier zum Abendessen. Mit Salsasoße. Aber nur, wenn er sich nicht die Zeit nahm, außer Haus essen zu gehen. Zum Beispiel, weil sie gemeinsam im Bett lagen, und, bei was immer sie da gerade taten, von ihren knurrenden Mägen unterbrochen worden waren. Das hatte sie immer zum Lachen gebracht.
Nachdem Gina die übermächtige Erinnerung an diese lange vergangene Fröhlichkeit unterdrückt hatte, entdeckte sie eine Bananenstaude auf der Küchenanrichte, brach eine der Früchte ab und aß sie auf. Dabei streichelte sie das weiche Fell der Katze, die gerade das leere Schälchen ausschleckte, dann etwas Wasser trank. Abschließend leckte sie genüsslich über Ginas Finger und machte sich in Richtung Wohnzimmer davon, sprang dort direkt auf die dicke Armlehne eines gemütlichen Lehnsessels, der neben einem kleinen runden Beistelltisch mit einer Lampe darauf stand. Es gab keinen Fernseher in der Wohnung, aber auf dem Tisch lag umgekehrt ein aufgeschlagenes Buch, gleich neben einem Untersetzer. Greggs Lieblingsplatz zum Entspannen … wenn er nicht im Bett lag.
Die Katze schaute Gina
Weitere Kostenlose Bücher