Zero Unit
erwartungsvoll an.
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Was findest du nur an ihm?«, flüsterte sie.
Die behagliche Szenerie war jedoch zu verlockend. Beinahe gegen ihren Willen ging Gina zu dem Sessel hinüber und ließ sich behutsam nieder. Sein Sessel. An dem noch der Duft seines Rasierwassers hing. Überraschenderweise machte ihr das nichts aus. Es war eher … tröstlich. Sie lehnte sich zurück. Und erkannte, warum dies sein Lieblingsplatz war – der Sessel war supergemütlich. So entspannt hatte sie sich seit ewig langer Zeit nicht mehr gefühlt. Seufzend drückte sie den an der Seite angebrachten Hebel, bis sich das Fußteil hob, und kuschelte sich in die tiefen Falten des Leders. Sofort sprang die Katze auf ihren Schoß, rollte sich auf ihrem Bauch zusammen und begann zu schnurren. Das Tier fühlte sich warm und weich an, und seine beruhigenden Laute verrieten tiefe Zufriedenheit.
Gina schloss lächelnd die Augen.
Nur Sekunden später war sie bereits eingeschlafen.
So hörte sie auch nicht, wie vorsichtig die Tür geöffnet wurde, und auch nicht die verstohlenen Schritte auf dem Teppich, die sich ihr näherten.
9
Sarah gelang es nur mit Mühe und Not, sich während der Autopsie nicht zu übergeben. Es war wirklich deprimierend. Früher hatte sie diese Prozedur gelassen mit ansehen können, ohne dass ihr Magen wie ein vom Sturm gebeuteltes Schiff ins Schlingern geriet. Aber das hatte sich vor Kurzem verändert. Als sie sich persönlich viel zu weit auf einen Fall eingelassen hatte: Eine Mutter war mit ihrer Tochter – beide Opfer häuslicher Gewalt – aufs Revier gekommen, um dem schrecklichen Kreislauf aus gebrochenen Knochen und unaufrichtigen Entschuldigungen des lügenden Ehemanns zu entfliehen, bevor es zu spät war. Sarah hatte ihnen geraten, den Scheißkerl zu verlassen und die Telefonnummer eines Frauenhauses herausgegeben, das auf solche Fälle spezialisiert war.
Sie hatten den Scheißkerl verlassen.
Dem hatte Sarahs Einmischung jedoch nicht gefallen. Über eine Lehrerin, der die Tochter unter Tränen ihr Schicksal anvertraut hatte, war es dem Mann gelungen, seine Ehefrau aufzuspüren. Das Ergebnis war verheerend gewesen.
Niemals würde Sarah diese Leichenobduktion vergessen. Die Bilder der Frau und des jungen Mädchens auf den zwei kalten Stahltischen würden sie für den Rest ihres Lebens verfolgen.
Damit verglichen war die heutige Untersuchung – das Opfer aus dem Müllcontainer – eher Routinearbeit, und das blasse Gesicht des Opfers mit den blauen Lippen besaß selbst im Tod noch eine eigenartige Schönheit. Doch das verursachte Sarah nur noch mehr Übelkeit. Asha Mahmood war eine hohe Dosis K.-o.-Tropfen verabreicht worden. Jemand hatte sich an ihr vergangen und sie dann erstickt. Höchstwahrscheinlich mit einem Kissen.
Was für eine schreckliche Art, aus dem Leben zu scheiden. Trotzdem könnte es sich rein theoretisch um einen typischen Freitagabend handeln, der entsetzlich schiefgelaufen war. Nur war Asha Mahmood an einem Mittwoch gestorben. Und die Adresse, die in ihrem gefälschten Führerschein eingetragen war, existierte nicht. Sarah hatte sich schon gefragt, ob der Name überhaupt echt war, dann aber kurz vor der Autopsie einen Anruf von einem NYPD -Beamten erhalten, der jeglichen Zweifel daran ausgelöscht hatte. Offenbar war Asha Mahmoods Cousin an diesem Morgen bei einem wahren Blutbad mitten in New York City getötet worden, in dessen Verlauf es auch zu einer abenteuerlichen Geiselnahme gekommen war.
Wenn das kein seltsamer Zufall war.
Ganz bestimmt nicht . Besonders wenn man das lebhafte Interesse des blauäugigen SAC bedachte. Gab es da einen Zusammenhang? Diese Frage war nicht schwer zu beantworten.
Wade Montana hatte es auf etwas anderes abgesehen als auf ein gemeinsames Abendessen und eine schnelle Nummer.
Der Gedanke lenkte Sarah immerhin so weit ab, um nicht direkt auf den Seziertisch zu kotzen. Ein schwacher Trost.
»Sie wissen, dass Sie auch draußen im Flur warten können«, sagte Dr. Stroud – sie würde sich nie daran gewöhnen, ihn Johnny zu nennen – freundlich und warf ihr über die Mund-Nasen-Schutzmaske hinweg einen mitfühlenden Blick zu. Er war auch bei der grauenhaften Doppelobduktion der zuständige Mediziner gewesen, kannte also den wahren Grund für ihre neue Zimperlichkeit. »Ich werde Sie holen, wenn ich fertig bin.«
Ihre Blicke trafen sich, Sarah war ihm dankbar für diese seltene Geste der Solidarität. »Danke. Aber ich werde
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