ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Mord. Wer es nicht zum Star des
Verbrechens brachte, wie Renato Vallanzasca, Francis Turatello »Faccia d’Angelo« (Engelsgesicht) und sein Vize Angelo Epaminonda, wer sich wegen Mordes und anderer schwerer Delikte keine lebenslange Haftstrafe einhandelte, konnte unbehelligt seinen krummen Geschäften nachgehen.
Locatelli erkennt, dass das lohnende Verbrechen mit den Exzessen der siebziger Jahre nichts zu tun hat. Er konzentriert sich auf »Dienstleistungen« für Hehler gestohlener Autos und knüpft ein Netz von Kontakten nach Österreich und Frankreich. Er lernt Fremdsprachen und beherrscht schließlich vier davon. Inzwischen denkt er wie ein international operierender Unternehmer. Illegale Geschäfte sind Geschäfte wie andere auch, was zählt, sind Verlässlichkeit und Weitsicht. Mailand versinkt in einer trügerischen Ruhe. Mario, der auch »Diabolik« genannt wird, erkennt, dass sich da, wo viel Geld in Umlauf ist und eine unbändige Vergnügungslust herrscht, ein neuer Markt öffnet. Es gibt die Mode- und Designbranche, private Fernsehanstalten, neureiche Unternehmer und jede Menge Muttersöhnchen mit den Taschen voller Geld. In der reichsten Stadt und Region Italiens ist Kokain ein Laster, das sich mehr Leute leisten können als anderswo. Locatelli steigt in den Handel mit einer Ware ein, die stets sofort Nachschub verlangt. Die Haftstrafe für seine früheren illegalen Geschäfte wurde in eine Bewährungsstrafe umgewandelt, und die damit verbundene Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit veranlasst ihn unterzutauchen. Er versucht, sein Geschäftsfeld dorthin zu erweitern, wo er sofort neue Kunden finden kann, an die Cote d’Azur. Er bezieht eine Villa in Saint-Raphael, einem exklusiveren und ruhigeren Ort als das nahe gelegene Saint-Tropez. Die Nachbarn, die ihn unter dem Namen Italo Sa-lomone kennen, kümmern sich nicht weiter um ihn, wie es bei
den sehr Reichen üblich ist. Sie wissen nicht, dass die französische Polizei hinter ihm her ist, seit sie am Flughafen von Nizza einen Koffer aus Kolumbien beschlagnahmt hat, in dessen doppeltem Boden Kokain versteckt war. Pasquale Locatelli wurde wegen Drogenhandels sogar bereits von zwei Gerichten der Region zu zwanzig beziehungsweise zehn Jahren Haft verurteilt, aber die Urteile wurden in Abwesenheit des Angeklagten verkündet. Italo Salomone bleibt ein Italiener wie viele andere, die das milde Klima und das unbeschwerte Leben genießen. Bis ihn die französische Polizei nach dreijährigen Ermittlungen endlich in seiner Villa verhaftet, wo sie einundvierzig Kilo kolumbianisches Kokain sicherstellt. Das war 1989.
Zur selben Zeit renoviert Bebe ein altes Gehöft in Valsecca am Fuß der Alpen bei Bergamo, eine halbe Stunde von Brem-bate di Sopra entfernt, Locatellis letztem Wohnsitz in Italien.
Er tut dies nicht wegen der Ruhe und der Bergluft, vielmehr will er eine Raffinerie für weißes Heroin einrichten, das wertvollste und seltenste, für das es in den Vereinigten Staaten einen Nischenmarkt gibt. Er braucht es als Tauschware im Handel mit den Narcos. Dem Kronzeugen Saverio Morabito zufolge, einem früheren Boss der ’Ndrangheta in Mailand, boten die Narcos Ende der achtziger Jahre fünfundzwanzig Kilo reinstes kolumbianisches Kokain für ein Kilo weißes Heroin aus Bergamo.
Bebe, das ist Roberto Pannunzi, ein Römer, dessen Mutter aus Kalabrien stammt. Der frühere Alitalia-Angestellte, heute über sechzig, wanderte wie viele Süditaliener als junger Mann nach Kanada aus. Die Kalabresen schufteten dort auf dem Bau, im Verkehrswesen, in der Abfallwirtschaft und in der Gastronomie. Die große Zahl von Einwanderern machten sich auch die mächtigen Herren von Siderno zunutze. In kurzer Zeit
gelang es »U Zi’« (dem »Onkel«) Antonio Macri, den Drogenhandel in Kanada unter seine Kontrolle zu bringen, indem er Beziehungen auch zur amerikanischen Cosa Nostra knüpfte. Nach seiner Ermordung 1975 in Kalabrien brach der erste ’Ndrangheta-Krieg aus, von dem das in Übersee aufgebaute Unternehmensimperium jedoch unberührt blieb. Macri gründete und kaufte Handelsfirmen vor allem im Import-Export und baute dadurch beste Kontakte zu den wichtigsten Häfen auf. In der Organisation, die er seinen Erben hinterließ, sah die kanadische Polizei in den achtziger Jahren den mächtigsten ’Ndrangheta-Ableger ganz Kanadas. Dank Antonio Macri entdeckte Roberto Pannunzi in Toronto seine kalabrischen Wurzeln.
Zi’ ’Ntoni gefällt der junge Mann mit dem dichten
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