ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
bieten.
Während Pannunzi die Grundlage für ein Joint Venture des Kokains legt, steht Locatelli wegen internationalen
Drogenhandels vor Gericht und wird zu zehn Jahren Haft verurteilt. In der Zelle in Grasse sieht er nur einen kleinen Ausschnitt der lieblichen Landschaft, die sich zu Füßen des alten Städtchens, der »Welthauptstadt des Parfüms«, ausbreitet. Das Meer bei Cannes kann er bestenfalls erahnen. Aber damit hält er sich nicht auf. Diabolik ist ein schnell denkender und handelnder Mensch. Er bricht sich einen Arm. Er muss ins Krankenhaus, aber die Franzosen sind auch nicht von gestern, sie argwöhnen, dass der Unfall nicht zufällig passiert ist. Vorsichtshalber schicken sie ihn nicht nach Nizza, sondern nach Lyon, 500 Kilometer von der Küste entfernt, die er wie seine Westentasche kennt. Der Häftling steigt aus dem Gefangenentransporter und geht auf das Krankenhaus zu. Nach wenigen Schritten tauchen drei bewaffnete und maskierte Männer auf, die die Eskorte entwaffnen und in null Komma nichts mit dem Gefangenen verschwinden. Damit endet eine Ära. Locatelli verwischt seine Spuren und wechselt nach Spanien. Er wird zu Mario, Mario aus Madrid: Mittelsmann der kolumbianischen Narcos in Europa, Besitzer einer Schiffsflotte für den internationalen Kokainhandel.
Der Unternehmer und der Manager: Beide sind Pioniere, die aus dem Nichts einen Akteur schaffen, den es in der Ökonomie des Drogenhandels bis dahin nicht gab: den Broker. Sie verbinden die entlegensten Winkel der Erde. Istanbul, Athen, Malaga, Madrid, Amsterdam, Zagreb, Zypern, die USA,
Kanada, Kolumbien, Venezuela, Bolivien, Australien, Afrika, Mailand, Rom, Sizilien, Apulien, Kalabrien. Sie setzen einen stetigen Strom des Geld- und Warenverkehrs in Bewegung und knüpfen ein kompliziertes und engmaschiges Netz, ein verwirrendes Beziehungsgeflecht, das nur den aufmerksamen Beobachter die kaum wahrnehmbaren Warenverschiebungen
erkennen lässt. Sie werden steinreich und lassen alle, die mit ihnen arbeiten, an diesem Reichtum teilhaben. Unablässig in Bewegung, müssen sie ständig neue Kanäle ausfindig machen. Ihr Leben ähnelt immer mehr dem Spiel, bei dem man viele einzelne Punkte miteinander verbinden muss: jenen Rätseln, die wir als Kinder in den seltenen Augenblicken, in denen die Eltern uns das Rätselheft überließen, selbst lösen konnten. Die Figur kam erst am Ende zum Vorschein, wenn man alle Punkte miteinander verbunden hatte. Mit Pasquale Locatelli und Roberto Pannunzi ist es genau dasselbe. Ihre Handelswege kommen erst ans Licht, wenn alle Verbindungen, die sie geknüpft haben, zu erkennen sind. Denn wer Drogen verschiebt, zeichnet die Weltkarte neu.
Diese Neuordnung der Welt geht mit einer Änderung einher, die niemand im Voraus festgelegt hat. Hätte jemand diese Neuerung vorgeschlagen, wäre sie abgelehnt worden. Keine kriminelle Organisation hätte sich bereiterklärt, den Profit mit einem Außenstehenden zu teilen und ihm eine nichtmarginale Rolle zuzuweisen. Es ist ein gradueller Prozess, der Qualitätssprung ergibt sich von selbst. Oder vielmehr, irgendwann steht man vor vollendeten Tatsachen.
Mario aus Madrid erwirbt sich das Vertrauen der Kolumbianer, als sie sich noch auf dem Gipfel ihrer Macht befinden. Er wird von einem Bodyguard und einer Privatsekretärin begleitet. Von Pablo Escobar hat er gelernt, nie länger als zwei Nächte am selben Ort zu bleiben, er wechselt sein Mobiltelefon wie andere die Socken. Dennoch ist er weder ein Mann des Medellm-Kartells noch des Cali-Kartells. Das ist nicht nur für ihn selbst von Vorteil, sondern auch für die Monopolisten des Kokains, die sich in Kolumbien einen erbitterten Krieg liefern: der Anfang ihres langsamen Niedergangs.
Bebe Pannunzi hat sich mit den Familien von Siderno und Plati eingelassen und sich sogar durch Blutsbande mit ihnen zusammengeschlossen, ohne einem ihrer Clans beizutreten. Er ist keiner von der ’Ndrangheta, keiner von der Camorra, kein Mafioso. Er verschmilzt unterschiedliche Gruppen zu einer einzigen Investmentgesellschaft: Kalabresen, Sizilianer, Gruppen aus dem Salento und andere. Ein Joint Venture der Droge mit weiter reichenden Kontakten und einer größeren Verhandlungsmacht, als sie ein einzelner Clan vorweisen kann. Eine vielschichtige Organisation mit straffem Zusammenhalt und einer klaren Trennung von leitenden und untergeordneten Positionen. Er ist ein geschickter Broker, der mühelos gewaltige Finanzoperationen durchführen und Drogen
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