ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
in Mengen verschieben kann, die für einen einzelnen Clan nicht zu bewältigen wären. Ohne diesen neuen Akteur hätte man Kokain weiter im alten Stil eingekauft: Die Mafiafamilie schickt einen Vertrauensmann nach Südamerika, zahlt einen Teil der Ladung im Voraus, lässt ihren Mann als Pfand in den Händen der Nar-cos und riskiert dabei, dass er umgebracht wird, falls etwas schiefläuft und die Zahlung nicht erfolgt. Dann kontaktiert sie einen Mittelsmann, der sich um den Transport kümmert.
Pannunzi mischt die Karten neu. Er siedelt nach Kolumbien über. In engem Kontakt mit den ’ndrine hat er gelernt, was zu lernen war, und er weiß, dass es an der Zeit ist, das Gelernte weiterzugeben. Er führt seinen Sohn Alessandro in das Geschäft ein, der die Tochter eines Bosses aus Medellin heiratet. Am Telefon nennt er ihn »Miguel« und spricht spanisch mit ihm, um unerwünschte Zuhörer zu verwirren. Seine Tochter Si-mona verlobt sich mit Francesco Bumbaca. Er wird sein Schwiegersohn, auf den er zählen kann. Francesco erhält den Spitznamen »Joe Pesci« oder »Il Finocchietto« (der Schwuli).
Anfang der neunziger Jahre nutzt Pannunzi die Macht der kolumbianischen Kartelle, die den Dschungel ihres Landes mit Privatflugplätzen gespickt haben. Für die ’Ndrangheta wäre ein Frachtflugzeug für die Interkontinentalflüge von Nutzen, und Bebe beschafft es ihr.
Er kann sich eine ganze Flugzeugflotte leisten, um die weiße Ware zu verschieben. Über diverse Organisationen sammelt er Millionen und Abermillionen Euro ein. Er haftet gegenüber den Kartellen in eigener Person, wodurch er hohe Rabatte erhält. Er garantiert für den Transport und für die Ankunft der Ladungen in den Häfen. Er weiß auch, wer sich um das Kokain kümmert, sobald es sein Ziel erreicht hat. Je mehr Aktionäre beteiligt sind, desto billiger ist der Kilopreis. Die Verluste durch Beschlagnahmungen verteilt er auf mehrere Schultern. Er kann sich sogar eine Qualitätskontrolle leisten. Er reist, knüpft Kontakte, trifft sich mit Kunden. Überall. Er findet Geldgeber und Kapital. Dann fällt er die Entscheidung, wo und wie er kauft. Er sucht sich tüchtige Transporteure, sichere Küsten, Städte, die als Lager dienen.
Locatelli handelt spiegelbildlich. Er steht der Lieferantenseite näher und behält seine Basis in Europa, um den Kontakt mit den Kunden flexibler zu gestalten. Er verhandelt mit allen: mit den Familien von Bagheria und Gela, mit den ’ndrine von San Luca und Plati, mit den mächtigsten Clans im Norden Neapels. Er verhandelt über alles und bleibt dabei seinem unternehmerischen Instinkt treu: Das Kerngeschäft ist das Koks und zunehmend auch die Geldwäsche, aber es wäre dumm, nicht auch die Nähe zu Nordafrika zu nutzen, um Haschisch über die Straße von Gibraltar zu importieren, einem Stützpunkt seiner Seemacht. Zusätzlich nutzt er alte Beziehungen und Erfahrungen, um einen internationalen Händlerring für
gestohlene Autos auf die Beine zu stellen. Aber es sind die Ereignisse in einem Land, das von der Iberischen Halbinsel ziemlich weit entfernt liegt, die Mario aus Madrid einen weiteren Sprung nach vorn ermöglichen. Als einer der Ersten erkennt er die enormen Möglichkeiten, die sich aus den Spannungen und den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien ergeben. Drogen, Waffen, Geld: Mit diesen drei Elementen kann er einen Dreieckshandel aufbauen, der von Spanien nach Amerika und von dort bis auf den Balkan reicht, mit Abstechern nach Italien, Zwischenstationen in Afrika und so fort.
Auch der Mann aus Bergamo baut sein Geschäft wie einen Familienbetrieb auf, in dem außer der Familie nur wenige Außenstehende zugelassen sind - vertrauenswürdige Angestellte, die unter ständiger Kontrolle arbeiten, mit festgefügten Hierarchien und unter strengster Verschwiegenheit. Die Firma aus Bergamo nimmt immer mehr die Züge einer Mafiaorganisation an, deren Undurchdringlichkeit ihr schließlich den Erfolg sichert. Aber die interne Organisation der Mafia ist letztlich nur eine Abwandlung des in Italien dominierenden Firmenmodells. Und wie bei den echten Mafiosi kann die Verknüpfung von Blutsbanden und Geschäften leicht zur Achillesferse werden. 1991 entdecken die Carabinieri, dass Locatelli, wenn er in Italien ist, bei seiner Freundin Loredana Ferraro in Nigoline di Corte Franca wohnt, einem Dorf in der Provinz Brescia. Als sie die Falle zuschnappen lassen wollen, springt Diabolik in ein Auto und rast davon. In einer wilden Verfolgungsjagd
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