ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
beim Austausch von Telefonnummern, die für die Kontaktpflege unerlässlich sind: verschlüsselte Geheimcodes, die von den Verdächtigen ersonnen wurden, nie eine im Klartext diktierte Handynummer, stets nur Zahlen, die für Außenstehende keinen Sinn ergaben.«
Um Roberto Pannunzi kennenzulernen, muss man in das unentwirrbare Geflecht seiner Sprache eintauchen. Seine Männer tragen nur Decknamen: das Jüngelchen, der Blonde, der Buchhalter, der Neffe, Lupin, der Lange, der Uhrmacher, der Greis, das Hündchen, der große Hund, der Färber, das Mäuschen, der Onkel, der Verwandte des Onkels, der Bruder des Verwandten, die Tante, der Blödmann, der Gevatter, Blut, Alberto Sordi, das Mädchen, die Brüder Rotoloni, der Junge, Miguel, der Freund, der Kropf, der Herr, der Kurze, der Landvermesser. Spiegelbilder, die Fragmente der Wirklichkeit verzerrt wiedergeben. Da er weiß, dass er abgehört wird, teilt er Adressen, Namen und Telefonnummern so kryptisch wie möglich mit.
»21.14 - 8.22.81.33 - 73 . 7 . 15 . Das sind Initialen, drei Initialen, hast du verstanden?«
»Dann Absatz, Bindestrich: 18.11.33. - K 8.22.22.16 - 7.22.?42.81.22. K.11.9.14.22.23. - : 18.81.33.9.22.8.23.25.14.11.11.25 - (+6)(+6) ist die Nummer.«
»Und weiter 11.21.23.25.22.14.9.11.21.11. Das ist die Stadt.«
»Dann, neue Zeile, die Büronummer: + 1, - 2, (ich weiß nicht, ob es eine Null braucht oder nicht) -3, - 7, =, - 7, +6, -3, +5,
+ 3 , + 4 .«
Die extreme Vorsicht macht es manchmal selbst den Eingeweihten schwer, die Mitteilungen zu verstehen. Aber es ist eine unerlässliche Vorsichtsmaßnahme. Sechs Untergetauchte sind durch dieses Netzwerk miteinander verbunden: Roberto Pan-nunzi, sein Sohn Alessandro, Pasquale Marando, Stefano De Pascale, genannt »Lo Spaghetto«, Tonino Montalto und Salvatore Miceli, der compare aus Trapani.
Die Telefonnummern werden durch eine feste alphanumerische Zeichenfolge übermittelt, die Anrufe erfolgen aus öffentlichen Telefonzellen oder mit ständig wechselnden Telefonkarten. Zu den Verabredungen fährt man nie mit einem Auto, das auf einen selbst zugelassen ist. Das Kokain wird als »Bankunterlagen«, »Schecks«, »Rechnungen«, »Darlehen«, »Möbelstücke«, »Löwe im Käfig« bezeichnet. Und um zu erfahren, wie viele Kilo bestellt wurden, spricht man von »Arbeitsstunden«. Die geheime und schattenhafte Welt Pan-nunzis ist uferlos. Sie ist ein Strudel, der einen leicht in die Tiefe ziehen kann. Es gibt keine Ansatzpunkte, und die paar Fäden, die man in der Hand zu haben glaubt, lösen sich schnell in nichts auf und werden durch noch kryptischere Zeichen ersetzt. Nur eine außergewöhnliche Störung kann dem Formlosen eine Form geben: ein Fehler, der einen Lichtstrahl in diesen Nebel wirft, so dass man etwas Konkretes zu fassen kriegt, das man nicht mehr loslassen darf.
Die Störung erfolgt mit Piccoletto, dem Kurzen, der eigentlich Paolo Sergi heißt, einem hochrangigen Mitglied der ’ndrine von Plati. Il Piccoletto begeht einen Leichtsinnsfehler: Er benutzt sein Handy, das von den Ermittlern abgehört wird. Eine verhängnisvolle Unachtsamkeit, die es den Männern vom Drogenbekämpfungskommando der Finanzpolizei Catanzaro erlaubt, in das Netz einzudringen. Paolo Sergi öffnet ihnen die
Tür und gibt dem Ermittlungsverfahren seinen Namen: Igres, ein Anagramm von Sergi.
Dank Piccolettos Leichtfertigkeit lichtet sich der Nebel. Nach und nach wird ein logisch aufgebautes System sichtbar. All die Sackgassen und Nebelkerzen, die den Ermittlern Rätsel aufgaben, erweisen sich als das, was sie sind: Verschleierungstaktiken. Verzerrte Bruchstücke der Wirklichkeit fügen sich zu einem sinnvollen Ganzen. Es tritt eine gigantische Wirtschaftsmacht zutage. Die Telefonmitschnitte ergeben das Bild einer komplexen Organisation, die in zwei Hauptstränge aufgeteilt ist, einen kalabrischen und einen sizilianischen.
Jedes Mitglied hat eine genau definierte Aufgabe. Pannunzi, den die Ermittler als »charismatisch« beschreiben, als »jemand, der keinen Widerspruch duldet«, kümmert sich um alles, vom Einkauf bis zum Vertrieb, und er beschafft riesige Mengen Kokain für den Import nach Italien. Sein wichtigster Partner in Kolumbien ist der als »Barba« bekannte Drogenboss, der ihm das Kokain liefert. Zwischen Barba und Pannunzi besteht ein Gentleman’s Agreement. Kaum zu glauben, da in der Regel neben finanziellen Garantien auch ein menschlicher Bürge Sicherheit bietet. Doch in Bogota wird Pannunzi
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