ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Sol, Alicante. Erst nach vier Tagen lenkt er seinen Wagen auf die Autobahn nach Madrid und ist rechtzeitig zum Abendessen im Restaurant Adriano.
Hier endet die Mission Marias und ihrer Kollegen, die dem Anwalt bis zu diesem lang erwarteten Moment auf den Fersen geblieben sind. Locatelli persönlich erscheint mit einer Tasche, die 130 Millionen Lire in bar enthält. Doch als der Tag vorbei ist, an dem sie in allen Nachrichtensendungen als Helden gefeiert werden, als der Stress tiefer Erschöpfung weicht und die Normalität zurückkehrt, fragen sich die italienischen
Polizisten, ob sie Locatelli tatsächlich den entscheidenden Schlag versetzt haben. Sie wissen, dass er noch mindestens fünf große Schiffe in Kroatien, Gibraltar und auf Zypern besitzt, an die sie nicht herangekommen sind. Der Wert seines Vermögens ist nicht zu beziffern. Aus dem Gefängnis in Madrid telefoniert er in alle Himmelsrichtungen und betreibt seelenruhig seine Geschäfte weiter. Der Camorra-Boss Maurizio Prestieri spöttelte einmal über ein spanisches Gefängnis: »Ich kam mir vor wie in einer Ferienanlage von Valtur.« Die einzige Chance, sein Imperium zu zerschlagen, sind Haftbedingungen, die ihm keine Möglichkeit der Kommunikation geben.
Erneut gleichen sich die Lebensläufe Locatellis und Pannun-zis wie in einem Spiel mit Spiegeln oder einem chinesischen Schattentheater. Es ist Ironie des Schicksals, dass sie sich beide dem italienischen Gefängnis entziehen, das für Mafiosi und Drogenhändler die schärfsten Haftbedingungen ganz Europas vorsieht. Bebe wird nach Italien überstellt, dann aber aus dem Gefängnis entlassen: Die Frist für die Untersuchungshaft war abgelaufen. 1999 wird er wegen Zugehörigkeit zu einer mafiaartigen Vereinigung erneut verhaftet. Als ihm aus gesundheitlichen Gründen Hausarrest gewährt wird, flieht er - wie zehn Jahre zuvor Diabolik - aus einer römischen Klinik, allerdings ohne dafür ein bewaffnetes Kommando zu benötigen. Wie Mario taucht auch er in Spanien unter. Spanien erlebt gerade einen Immobilienboom und ist damit der ideale Ort für Drogenhändler aus der ganzen Welt, um Häuser und immer mehr Häuser zu kaufen und tonnenweise Kokain.
In seinem dicht geknüpften Netzwerk in Italien, an dem er weiter festhält, ist Stefano De Pascale aus dem Umfeld der ehemaligen Magliana-Bande sein Statthalter in Rom. Immer, wenn ich in Rom in der Via Nazionale bin, muss ich an ihn
denken, weil hier, in der Zweigstelle von Top Rate Change, ein Unterstützer der Organisation Hunderte Millionen Lire, die De Pascale für Pannunzi verwaltete, in Dollar und andere Währungen umtauschte. De Pascale war Pannunzis Berater, der sich nicht darauf beschränkte, Befehle auszuführen, sondern auch Gutachten lieferte und Empfehlungen gab, Buch führte und die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten koordinierte. Der Mann, den ich vor allem unter seinem Spitznamen »Lo Spaghetto« kannte, war Bebes langer Arm in Rom. Die kalabrischen Clans, die Geschäftsverbindungen zu Pannun-zi hatten, konnten sich jederzeit an ihn wenden.
Im Januar 2001 kehrte Bebe, der mittlerweile mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde, nach Kolumbien zurück, wo er eine mit allen Schikanen ausgestattete Villa erwarb. Eine typische Wahl: Man will nicht nur seinen Reichtum zur Schau stellen, sondern auch zeigen, dass man es in die Kreise geschafft hat, die sich den prestigeträchtigsten, erlesensten Luxus leisten können. Er kontaktiert die Narcos und besucht die Cocaplantagen und die Drogenlabore. Sich frei und ungehindert bewegen zu können verleitet ihn jedoch nicht zur Unvorsichtigkeit. Auch in Kolumbien sucht er sich seine Mitarbeiter mit größter Umsicht aus. Die Erfahrung sagt ihm, dass die Welt zusammengewachsen ist und er sich nicht die geringste Nachlässigkeit leisten darf.
Pannunzis Stärke besteht in der absoluten Undurchdringlichkeit seines Systems. Sein kriminelles Netzwerk benutzt Codes und Vorsichtsmaßnahmen, die die Ermittler immer wieder ins Leere laufen lassen. In den Unterlagen der Igres-Ermittlungen der Antimafiabezirksdirektion Reggio Calabria ist nachzulesen, dass Bebe »nie einen Fehler, nie einen falschen Schritt< begeht; in den zahlreichen Gesprächen wird nie ein
Name, eine Adresse oder ein Treffpunkt im Klartext genannt, sondern immer nur Umschreibungen, Metaphern, ähnliche Begriffe und verschlüsselte Namen zur Bezeichnung von Freunden, Zeitpunkten und Verabredungen. Äußerste Vorsicht und Wachsamkeit vor allem
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