ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
südamerikanischen Kunden an einem belebten Ort verabredet, aber sie kommen einfach nicht. Schließlich begleitet jemand sie zum Hafen, bringt sie an Bord einer Yacht und lichtet den Anker. Sie ist jetzt auf dem offenen Meer mit Männern, die versuchen, mit ihrem privaten Ozeandampfer Eindruck bei ihr zu schinden. Der Agent, der an der Mole auf sie wartet, kann ihr nicht mehr helfen; sie ist jetzt auf sich allein gestellt. Alles phantastisch, räumt sie ein, aber ich bin for business gekommen, not for fun, Verzeihung, wenn ich nicht in der Stimmung bin.
Locatelli alias Mario aus Madrid ist anders gestrickt. Auch er empfängt Maria beim ersten Mal auf einer Yacht vor der Costa del Sol, in der Nähe von Marbella, wo er sich mit Loredana niedergelassen hat. Doch er ist pragmatisch und setzt auf die verführerische oder auch einschüchternde Kraft seines Luxusschiffs und auf die völlige Abgeschiedenheit auf hoher See. Der erfahrene Broker will sich die junge Frau, die verständlicherweise die Gunst seiner kolumbianischen Partner gewonnen hat, genauer ansehen. Maria spürt das und fühlt sich bloßgestellt, aber nur ganz kurz. Dann zeigt sie ihr ganzes Wissen und Können so unbefangen wie möglich. Sie spricht von Zinssätzen, Aktien, Investmentfonds. Sie diskutiert Chancen und Risiken der New Economy und schlägt ein paar Transaktionen vor, um aus dem Wechselkursen Kapital zu schlagen. Es klappt. Der Boss lässt sich von der Kompetenz seiner Gesprächspartnerin
überzeugen. Die Gelder, die über die Bank auf den Antillen reinvestiert werden sollen, können weiterhin zügig überstellt werden.
Und doch gibt es noch Momente der Angst. Einmal, als ihr ein Köfferchen mit zwei Millionen Dollar übergeben wird, bemerkt Maria, dass ihr jemand folgt. Sie darf nicht das Risiko eingehen, überfallen oder - noch schlimmer - beim Einsteigen in das Auto eines Kollegen beobachtet zu werden, mit dem sie verabredet ist. Sie hat keine Ahnung, ob der Mann hinter ihr ein unbedarfter Kleinkrimineller ist oder einer, der sie beschattet. Sie hält ein Taxi an und fährt stundenlang kreuz und quer durch die Stadt.
Merkwürdigerweise ist ihre Angst in Italien am größten. In Rom werden als Treffpunkte sehr belebte Orte vereinbart: das Hotel Jolly, die Bar Palombini im EUR-Viertel. Aber was, wenn jemand sie durch einen dummen Zufall erkennt, ihr zuwinkt, sie mit ihrem richtigen Namen anspricht? Auch darauf hat man sie vorbereitet: Sie soll reagieren, als handle es sich um einen Irrtum. Ein entschlossener, schneller Blick, ein kurzes Erstaunen, mehr nicht. Maria ist sich allerdings nicht sicher, ob sie die notwendige Kaltblütigkeit besitzt. Manchmal spürt sie auch eine unterschwellige Panik. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass bei ihren Kontaktpersonen die eine oder andere Information über sie durchsickert. Der »Poliphem« genannte »Bote« ist ein Mailänder, der wie ein unscheinbarer Angestellter aussieht und eigentlich Mario Di Giacomo heißt. Die Verhandlungen jedoch führt sie mit dem Gewährsmann von Locatellis Organisation in Rom, Roberto Severa, einem führenden Mitglied der Magliana-Bande, dem Locatelli große Summen zur Reinvestition in eine Supermarktkette und weitere Geschäfte in der Hauptstadt anvertraut hat. Er überschwemmt Maria mit Geld, das so schnell wie möglich in der Karibik gewaschen werden soll: einmal 671,8 Millionen Lire und 50 000 Dollar, danach zwei weitere Beträge in Höhe von 398,35 und 369,45 Millionen Lire, alles innerhalb von sechs Wochen.
Die eigentliche Schlüsselfigur für Locatellis Geschäfte in Italien ist allerdings Pasquale Ciola mit dem vertrauenerweckenden Auftreten eines Provinzanwalts. Wie Bebe Pannun-zi hat auch Mario aus Madrid irgendwann seine mütterlichen Wurzeln und die damit verbundenen Vorteile wiederentdeckt. Dank Ciola, der in der Geschäftsführung sitzt, kann er sich einer ganzen Bank bedienen, der Cassa rurale e artigiana im apu-lischen Ostuni. Und dank seiner wachsenden Geschäftsinteressen auf dem Balkan steht er kurz vor der Übernahme der Bank ACP in Zagreb. Apulien liegt der adriatischen Ostküste am nächsten. Pasquale Ciola hat gelernt, stets größte Vorsicht walten zu lassen. Die Reise nach Spanien, wo er sich mit Loca-telli treffen will, gestaltet er als harmlosen Familienurlaub. Mit Sohn und Exfrau durchquert er im Mercedes die spanische Halbinsel, übernachtet in den besten Hotels und besucht eine Reihe touristischer Sehenswürdigkeiten: Malaga, die Costa del
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