ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Ebenen, und es hat System. So entsteht ein weltumspannender Mechanismus, der wie ein Komplott aussehen mag, tatsächlich aber eher in einer Weise funktioniert, die man die »Banalität des Bösen« nennen könnte.
Wenn aber dieser Mechanismus von ganz vielen dienstbeflissenen, gewöhnlichen Menschen getragen wird, kann ein Sandkorn das Getriebe schon mal ins Stocken bringen. Beispielsweise durch einen Mann, der - hätte es den 11. September nicht gegeben - für immer in den feuchten Amtsräumen eines Londoner Polizeikommissariats geblieben wäre. Die Twin Towers sind gerade eingestürzt, und die USA erholen sich von dem Schock. George W. Bush hat den Patriot Act erlassen, der unter anderem die internationale Geldwäsche und die Finanzierung des Terrorismus aufdecken, unterbinden und verfolgen soll. Nach diesem Gesetz müssen die US-amerikanischen Banken besondere Vorkehrungen gegen Geldinstitute oder Konten ergreifen, die im Verdacht der Geldwäsche stehen. Das Ziel ist mehr Transparenz bei Finanzgeschäften und im Berichtswesen, Einschränkungen beim Interbankenhandel und schärfere Strafen bei Verstößen. Die amerikanische Antiterrorpolitik setzt auch hier ihre Zeichen.
Vier Jahre später tritt ein Engländer mit frechem blondem Haarschopf eine Stelle im Bankhaus Wachovia an, einem Giganten des amerikanischen Kreditwesens. Er heißt Martin Woods und wird in der Londoner Filiale als Beauftragter zur Bekämpfung von Geldwäsche eingestellt. Er ist gewissenhaft und präzise, fast manisch in seiner Ordnungsliebe und damit genau der richtige Mann für eine Bank, die die Richtlinien gegen Geldwäsche einhalten will. Aber Woods ist nicht nur ein fleißiger Beamter, der rechnen kann und die doppelte
Buchführung liebt. Woods war früher bei der Abteilung Verbrechensbekämpfung von Scotland Yard. Das verschafft ihm einen enormen Vorteil gegenüber seinen Kollegen in den Banken der ganzen Welt: Woods kennt die Menschen. Er versteht es, mit ihnen zu reden und die Nuancen ihrer Stimmungen zu beurteilen. Sein persönliches Bewertungsmuster für Menschen besteht aus einer Farbskala, in der das Geld nur eine unter den vielen im Spiel befindlichen Variablen darstellt. Neben der Farbe der Dollars die Farbe des Wahren und des Falschen. Woods ist perfekt, und er ist gefährlich.
Drei Akteure standen bisher im Mittelpunkt dieser Geschichte. Ein angegriffenes Land, das sich wehrt; eine Maßnahme, um die Bedrohung finanzpolitisch zu bekämpfen; ein Mann, der seine Arbeit tun will. Es fehlt ein viertes, unabdingbares Element: eine DC-9. Das Flugzeug landet in Ciudad del Carmen im mexikanischen Bundesstaat Campeche. Soldaten finden an Bord 128 schwarze Koffer mit fünfeinhalb Tonnen Kokain im Wert von rund 100 Millionen Dollar. Eine enorme Menge, die da sichergestellt wird, es ist ein Schlag ins Gesicht des Drogenhandels. Den Ermittlern fällt allerdings die Kinnlade runter, als sie entdecken, dass das Geld für den Kauf dieser DC-9, die dem Sinaloa-Kartell gehört, in einer der größten amerikanischen Banken, der Wachovia, gewaschen wurde.
Während die Ermittler in der Vorgeschichte der in Mexiko gelandeten DC-9 stöbern, nimmt Woods sich die Unterlagen der Wachovia-Kunden vor. Das ist die Aufgabe eines Ermittlers und auch eines Beamten, der zu diesem Zweck eingestellt wurde. Er muss die Papiere durchforsten und Unmengen von Zahlen und Daten aufnehmen, dann muss er alles in Beziehung zueinander setzen und prüfen, ob keine Diskrepanzen vorliegen. Woods entdeckt, dass mit vielen in Mexiko eingesetzten Travellerschecks etwas nicht stimmt. Ein Tourist kann gar nicht so viel Geld benötigen. Dann fällt sein Blick auf die Seriennummern, die merkwürdigerweise fortlaufend sind. Auch die Unterschriften ähneln einander. Er meldet die verdächtigen Fälle seinen Vorgesetzten. Viele betreffen die casas de cambio, die mexikanischen Wechselstuben. Woods hängt sich ans Telefon, er verschickt E-Mails, verlangt Besprechungen und Meetings, um über die Berichte zu reden, die er mit hartnäckiger Entschlossenheit verschickt. Er riecht, dass etwas faul ist, und die Nachrichten, die ihn aus Mexiko und aus den USA erreichen, bestätigen seine Vermutung. Unter dem Druck ständiger Kontrollen der amerikanischen Behörden bricht die Wachovia-Bank die Beziehungen zu einigen casas de cambio ab. Andere Wechselstuben, die von diesem radikalen Schnitt verschont bleiben, halten sich fortan zurück. Derart bedrängt, gerät der Bankenkoloss ins Wanken und
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