ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Bewährung. Dasselbe Spiel wiederholt sich zwei Monate später, nur dass der Verhaftete sich diesmal - vergeblich - als bulgarischer Staatsbürger ausgibt.
Locatelli findet immer neue Wege, um sich von kleinen und großen Zwischenfällen zu erholen und sein Geschäft weiter auszubauen. Seine beiden in Italien gebliebenen Söhne, mittlerweile gestandene Männer, führen die Belange dieses großen und dynamischen Unternehmens weiter. Offiziell verdienen sie sauberes Geld in Unmengen, sind jedoch auch an schmutzigen Geschäften beteiligt und dabei optimal getarnt. Die Familie Locatelli ist die Inhaberin der Lopav SpA, die in Ponte San Pietro, wenige Kilometer von Brembate di Sopra entfernt, Bodenbeläge produziert. Die Firma verfügt über hervorragende Referenzen. Dank ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Kompetenz hat sie sich vergrößert und trägt beispielhaft zum Wohlstand des Landstrichs bei. Die Kinder, die sich ordentlich ins Zeug legen, um vielen Menschen Lohn und Brot zu geben, können nichts dafür, wenn der Vater, der verschwunden ist, als sie noch klein
waren, ein Tunichtgut ist. So denken die Leute dort, die einfachen Leute ebenso wie die, auf die es ankommt. Sie fragen sich nicht, woher das Geld stammte, mit dem das Unternehmen in kaum zehn Jahren zum italienischen Marktführer wurde. Sie sind findig und tüchtig, das reicht. Alle fühlen sich bestätigt, als die Firma Lopav ganz regulär eine Ausschreibung in Höhe von 50 000 Euro für die Herstellung des Unterbaus und der Außenböden erdbebensicherer Häuser in L’Aquila gewinnt und eine weitere für die Bodenbeläge des neuen Einkaufszentrums in Mapello. In Brembate und in Ponte San Pietro ist man sogar stolz, denn auf der Website der Firma steht zu lesen: die »Erdbebenopfer von L’Aquila werden auf bergamaskischem Boden gehen«.
Doch fast zeitgleich mit dem Beginn der Bauarbeiten in den Abruzzen stellt die Antimafiabezirksdirektion Neapel einen internationalen Haftbefehl gegen Pasquale Locatelli aus, der erneut beschuldigt wird, einer kriminellen Vereinigung zum Zweck des internationalen Drogenhandels anzugehören. Diesmal sind seine Kunden in der Region Kampanien der Anknüpfungspunkt, der Mazzarella-Clan, der über Locatelli Kokain und Haschisch bezogen hat. In einer von der Finanzpolizei Neapel koordinierten Aktion, an der auch Interpol und die spanische Polizei beteiligt ist, wird er im Mai 2010 am Flughafen Madrid verhaftet, nachdem man seinen Sohn beschattet hat, der sich in Spanien mit ihm treffen wollte. Noch größer ist das Erstaunen, als fünf Monate später auch Patrizio und Massimiliano im Gefängnis landen. Die Anklage beruht auf abgehörten Telefongesprächen, wonach sie bei der Geldwäsche wie bei der Zahlung enormer Summen an Drogenhändler eine maßgebliche Rolle gespielt haben.
Locatelli hat einen Mechanismus ersonnen, der perfekt funktioniert, selbst wenn er untergetaucht oder im Gefängnis ist. Pasquale Locatelli weiß, Personen und Räume sind für das Kokain durchlässig. Er ist der Galileo des Kokains, auch wenn man noch so sehr versucht, ihn aufzuhalten. Und selbst wenn man ihn verurteilt: das Kokain, »es bewegt sich doch«.
Es scheint unmöglich, aber am 5. April 2004 spürt die italienische Polizei Roberto Pannunzi zusammen mit seinem Sohn Alessandro und dem Schwiegersohn Francesco Bumbaca in einem Madrider Nobelviertel auf. Wieder wird er ins Gefängnis nach Italien überstellt. Hier gelingt ihm eines seiner typischen Zauberkunststücke. Aus gesundheitlichen Gründen wird er am 21. Februar 2009 in die Krankenstation der Vollzugsanstalt Parma verlegt und unter Sonderbewachung gestellt. Dann erlangt er aufgrund einer »Herzmuskelschwäche nach einem Herzinfarkt« für ein Jahr Hausarrest. Das Gericht benennt das Poliklinikum der Universität Tor Vergata in Rom als den für die Behandlung des Häftlings geeigneten Ort. Pannunzi aber verbringt zunächst mehrere Monate in einer Klinik in Nemi in der Provinz Rom und entscheidet sich dann für die Privatklinik Villa Sandra in der Hauptstadt. Von den Medien unbeachtet und in der Öffentlichkeit unbekannt, gilt er nicht als Gefahr.
Die italienische Politik ist von anderen Ereignissen abgelenkt. So gelingt es Pannunzi, ein paar Monate vor Ablauf des Hausarrests zum zweiten Mal aus einer Klinik zu fliehen und seine Spuren zu verwischen. Noch unglaublicher ist allerdings, dass seine Flucht nur per Zufall entdeckt wird. Am 15. März 2010 führen die Carabinieri ihre regelmäßige
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