ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
ein geräumiges, unverdächtiges Schiff. Und so besorgt Michaels Gruppe den Fischkutter R. V. mit dem Skipper Pit als Kapitän. Bei der Verladung gibt es jedoch ein Problem: Pit weigert sich, die komplette Ware an Bord zu nehmen, sie sei zu schwer, die R. V. laufe Gefahr, auf offener See zu sinken. Ein Drittel des Stoffs muss an Land bleiben. Die übrigen 660 Kilo werden an Bord verstaut und mit einer dicken Schicht Zement übergossen. Drei Monate später wartet Friedrich in einem portugiesischen Hafen. Er hat die nötigen Vorkehrungen getroffen. Er hat einen Lieferwagen mit Umzugskartons aus Deutschland kommen lassen und Campingkocher, Luftmatratzen, Klappstühle und alles andere gekauft, was man für einen Urlaub unter freiem Himmel benötigt. Der Fahrer, der den Lieferwagen nach Berlin zurückbringen soll, weiß nicht, dass ein Komplize von Friedrich die Kokainpäckchen in den Kartons verstaut hat. Ein perfekter Plan also, wenn nicht die gesamte Partie um weitere 300 Kilo geschrumpft wäre: Der Mann, der die Zementplatte auf dem Fischkutter aufhacken sollte, hat Angst bekommen, entdeckt zu werden. Er hielt es für besser, sich mit 300 Kilo zu begnügen, die man im Großhandel immer noch für 16 Millionen Mark würde losschlagen können. Im Einzelverkauf, nach dem Verschnitt, konnten daraus 50 Millionen werden. Würde Michael sich damit zufriedengeben?, fragt sich Friedrich. Würde der »rote Holländer«, der vielleicht gerade
vor der Schule Ausschau nach seiner Tochter hielt, sich damit abfinden? Er hat nicht die Zeit, nach Antworten zu suchen, der Lieferwagen muss auf die Autobahn, sonst schöpft der Fahrer noch Verdacht. In Berlin wird Friedrich schon etwas einfallen.
Mit Socken fängt er an. Mit etwas Geschick gelingt es ihm, ein paar Kilo Kokain darin zu verstecken. Dann kommen Koffer mit doppeltem Boden und eine Steigerung der Menge auf zwölf Kilo pro Reise. Langsam erwirbt Ronald sich einen unzerstörbaren Ruf. Er ist pünktlich und zuverlässig, ein deutscher Recke, der sein Ziel fest im Blick hat und hält, was er verspricht. Für die Narcos ist Ronald ein wertvoller Partner, und er wird zum Brückenkopf zwischen Kolumbien und Deutschland. Er ist ein deutscher Escobar. Er kann es sich leisten, die Zwischenhändler zu übergehen, er kann die Konkurrenz abwürgen, indem er Ware bester Qualität zu einem niedrigen Preis anbietet, er kann eine Organisation auf die Beine stellen, die dem Markt ihre Gesetze diktiert.
Ich stelle mir vor, wie Ronald sich in der Badewanne entspannt, die er schon mal mit Champagner füllt, die Augen schließt und zufrieden grinst. Das Geschäft brummt, die Idee einer Expansion in den Osten nimmt Gestalt an, und sein Kokain findet in halb Deutschland reißenden Absatz. Doch wer ist eigentlich der Kriminelle? Derjenige, der dir eine hochreine Ware anbietet, die dir die Bürde des Lebens ohne große Nebenwirkungen erträglicher macht, oder derjenige, der das Kokain mit allem möglichen Dreck verschneidet, um Marktanteile zu gewinnen? Für Ronald ist die Sache klar, und wenn er daran denkt, wird sein Grinsen noch breiter.
Friedrich steht auf, geht ins Bad, wäscht sich das Gesicht, prüft, wie viele neue graue Haare er bekommen hat, und wirft dann einen Blick aus dem Fenster. Der Lieferwagen mit seiner Ladung steht nach einer knappen Woche immer noch da. Was, wenn jemand ihn stiehlt? Was würde der Dieb wohl für ein Gesicht machen, wenn er zwischen den Heringen für die Zelte ein Kokainpäckchen entdecken würde? Es wäre zum Lachen, wenn nicht das Leben seiner Tochter und das Schicksal seiner Firma auf dem Spiel stünden, für die er alles gegeben hat. Sein Büro in einem Viertel im Süden Berlins eignet sich bestens als Versteck. Er steht zwar kurz vor der Pleite, aber er ist noch unbescholten. Die Achtung, die er sich mühevoll erarbeitet hat, wird ihm schon helfen, sich selbst und den Schatz zu verteidigen, den er in den Aktenschränken mit alten Projekten versteckt. Die Tage vergehen, aber niemand nimmt mit Friedrich Kontakt auf. Er begibt sich pünktlich zur Arbeit, denn alles soll den Anschein von Normalität haben, von anonymer Banalität. Und wenn jemand ihn fragt, wie es ihm geht, setzt Friedrich ein Lächeln auf und antwortet, es sei alles in Ordnung, das Leben gehe seinen gewohnten Gang. Er sagt das mittlerweile so oft, dass er es bald selbst glaubt, aber wenn er dann in sein Büro kommt und die Aktenschränke öffnet, blickt er in den Abgrund. Er versucht, sich auf
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