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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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wurde, als er seine Bar in Cas-oria öffnen wollte. Es war der 26. Juni 2012, um 7.30 Uhr. Ein anderer ist Lino Romano. Am 15. Oktober 2012 holt er am Bahnhof seine Freundin ab, die von der Hochzeitsfeier einer Cousine in Modena zurückgekehrt ist, und hofft, bald selbst Hochzeit feiern zu können. Er bringt sie nach Hause und kommt mit hoch, um Rosannas Eltern guten Abend zu sagen. Kaum ist er wieder gegangen, hört man Schüsse, unten auf der Straße. Lino stirbt, als er seinen Wagen anlassen will, um zu seinen Freunden zu fahren, zum Kickern. Es ist 21.30 Uhr. Es regnet an diesem dunklen Abend, und er fährt einen schwarzen Clio wie viele andere auch. Vielleicht fährst auch du einen, aber du hast keine Freundin in Marianella, dieser Ansammlung von Mietskasernen an der Frontlinie zwischen Secondigliano und Scampia.
    Es kommt dir vor wie ein Film, den du schon mal gesehen, eine Geschichte, die du schon mal gehört hast. Du hast von einem Jungen gelesen, der einen ähnlichen Namen trug, Attilio Romano. Er wurde in dem Telefonladen erschossen, wo er arbeitete. Du hast gesehen, wie sie das Kokain in den »Vele«, den heruntergekommenen Wohnblocks von Scampia, unter die Leute bringen. Wie sie morden, ganz undramatisch und beiläufig, und einander verraten. Du warst beeindruckt zu sehen, wie man Kindern beibrachte, Gewehrkugeln an sich abprallen zu lassen. Jetzt sind sie nicht mehr zehn, zwölf Jahre alt. Jetzt sind sie es, die schießen und erschossen werden.
    Aber du hast deinen Beitrag schon geleistet, ich meinen auch. Du hast mein Buch gelesen, hast den Film gesehen, den man daraus gemacht hat. Ich bin selbst schuld, wenn ich immer weiter schreie und das Gefühl habe, dass niemand mir mehr zuhören will. Ich bin selbst schuld, wenn die Artikel, die ich nach wie vor über das blutige Kokaingeschäft schreibe, auf der Website der Zeitung immer weiter nach unten rutschen. Ich bin selbst schuld, wenn auf meiner Facebook-Seite nicht die Konflikte im neapoletanischen Hinterland am häufigsten angeklickt oder geteilt werden, sondern andere Themen. Man kann nicht erwarten, dass die Aufmerksamkeit jahrelang auf dieselbe Szenerie gerichtet bleibt, andere Angelegenheiten erscheinen wichtiger oder sind ganz einfach neu. Ich bin selbst schuld, wenn die Erlaubnis verweigert wird, den Gomorrha nachempfundenen Fernsehfilm am Originalschauplatz zu drehen, wo das Spruchband hängt »SCAMPIAmoci da Saviano« (Hüten wir uns vor Saviano) und überall Plakate kleben mit dem Aufdruck: »Wer mit Neapel spekuliert, ist an allem schuld!« Der halben Welt habe ich neapolitanisches Blut in die Ohren geträufelt, aber in Scampia ist alles beim Alten geblieben. Also bin ich schuld, an allem schuld. Schuld an den neuen Killern, die die ganze Grausamkeit der Jugend in ihrem Körper tragen, verschärft durch das Kokain, das sie sich reinziehen, bevor sie losgehen, um den x-ten Verwandten eines Mitglieds der rivalisierenden Gruppe umzubringen. Schuld an den
    millionenschweren Profiten, deretwegen nach wie vor alle diese Menschenleben ausgelöscht werden. Schuld sogar am Tod unschuldiger Opfer wie Lino und Andrea.
    Das ganze Viertel und ein größerer Teil der Stadt hat sich um sie geschart. Tausende haben geschrien, diese Menschen seien unschuldig. Sie haben sie nicht allein gelassen, sie haben sie auf ihrem letzten Weg begleitet, der die Folge der allerletzten Ungerechtigkeit ist. Es ist nicht wahr, dass die Kriege der Mafia nur Angst, Zynismus, eisiges Schweigen und Gleichgültigkeit hervorrufen. Sie lassen auch ein elementares Mitgefühl entstehen. Denn du erkennst dich zwangsläufig wieder in Lino, Andrea und Rosanna, in ihren Eltern, Geschwistern, Freunden und Kollegen. Vielleicht weil auch du einen Cousin hast, der seinerseits der Cousin eines der »Sezessionisten« oder der »Girati« ist, wie eine der Gruppen genannt wird, die sich vom Kartell der Gewinner des Bandenkriegs gegen den Di-Lauro-Clan abgewandt haben. Das nächste Mal könntest du dran sein. Es hätte dein Sohn oder deine Tochter sein können an jenem 5. Dezember 2012, als Luigi Lucenti, genannt »der Chinese«, vor seinen Verfolgern Schutz im Kindergarten Eugenio Montale in Scampia suchte, wo die Kinder das weihnachtliche Krippenspiel probten. Lucenti sollte im Wohnblock »Cianfa di Cavallo« in der Via Ghisleri den Drogenmarkt eröffnen, und sie streckten ihn nieder. Wenig später wären die Kinder, die nicht über Mittag blieben, von ihren Müttern und Großmüttern abgeholt

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