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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Süßkartoffeln verdächtig. In den Kartoffeln finden sie sechzig Kilo Kokain.
    Teppiche
    27. November 2012, Mailand. Die Carabinieri verhaften dreiundfünfzig Italiener und Kolumbianer wegen
    Drogenhandels, unerlaubten Waffenbesitzes, Hehlerei und Geldwäsche. Das Netzwerk mit Zentrale in Cesano Boscone imprägnierte die Wolle der importierten Teppiche mit flüssigem Kokain. Nach der Ankunft in Mailand wurden die Teppiche mit einer Speziallösung gewaschen, so dass sich das Kokain aus den Fasern herausfiltern und trocknen ließ.
16 Achtundvierzig
    Träume. Der am wenigsten greifbare, am tiefsten verborgene Bereich deines Lebens. Geld oder Sex. Deine Kinder und die Toten, die im Traum wieder lebendig werden. Du träumst, in ein unendlich tiefes Loch zu fallen. Du träumst, erwürgt zu werden. Du träumst, jemand steht vor deiner Tür, der reinwill oder schon eingedrungen ist. Du träumst, eingesperrt zu sein, und niemand befreit dich und du kommst nicht mehr raus. Du träumst, dass man dich verhaften will, obwohl du gar nichts getan hast.
    Deine Träume oder Albträume haben nicht wirklich etwas mit dir zu tun. Ihre Ähnlichkeit mit den Träumen und Albträumen aller anderen Menschen ist so groß, dass du in Neapel mit den ihnen zugeordneten Zahlen Lotto spielen könntest. Gendarmen, Polizei, 24; Gitterstäbe, Gefängnis, 44; der Gauner, der Dieb, 79; die Schlinge um den Hals, 39; der Sturz, 56; der Tote, 47; der sprechende Tote, 48; der Nachwuchs, 9; das Geld, 46. Für Sex hast du die Qual der Wahl: die auf den Boden Schauende (die Vagina), 6; der Vater der Kinder (der Penis), 29; der Kalmar in der Gitarre (die Vereinigung von Mann und Frau), 67.
    Auch ich habe solche Träume. Wenn sie gut anfangen, verwandeln sie sich in Albträume. Wenn es von Anfang an Albträume sind, haben sie wenig Traumhaftes. Meine Tage nehmen auch die Nächte in Beschlag, jene 2310 Tage, die ich unter Geleitschutz lebe. Ich habe gelernt, meine Träume zu
    vergessen. Wenn ich davon aufwache, stehe ich höchstens auf und trinke ein Glas Wasser. Danach habe ich Mühe, wieder einzuschlafen, aber die Albträume habe ich mit ein paar Schluck Wasser hinuntergespült. Alle außer einem.
    Ich schreie, ich schreie immer weiter, immer lauter.
    Niemand scheint mich zu hören. Eine Variante des Albtraums, in dem du schreien möchtest, aber keinen Ton herausbekommst. Hier fehlt dir zwar die Stimme nicht, aber für die anderen ist sie unhörbar. Kennst du diesen Traum? Wenn du den im Lotto setzen willst, weiß ich nicht recht, welche Zahl ich dir empfehlen soll. Es gibt das Weinen, 65, die Wehklage, 60, die Angst, 90. Aber Schreie sind in der Zahlenmystik der Stadt, in der ständig gebrüllt wird, nicht vorgesehen. Versuch mal, auf den Mund zu setzen, die 80. Ich setze auf gar nichts, denn das, was ich gerade preisgegeben habe, ist die unmittelbare Fortsetzung der Wirklichkeit auf der Ebene des Unterbewusstseins.
    Ich schreibe über Neapel, erzähle von Neapel. Die Stadt hält sich die Ohren zu. Wer bin ich, dass ich Raum und Bühne zur Beschreibung von Dingen in Anspruch nehme, die ich gar nicht selbst erlebe? Ich kann nicht verstehen, was passiert, es steht mir nicht zu, darüber zu reden. Ich bin nicht mehr Teil des Körpers dieser Metropole, der mit seiner sanften und strahlenden Wärme jeden aufnimmt. Neapel kann man nur selbst erfahren. Entweder du lebst in dieser Stadt oder nicht. Und wenn du woanders lebst, gehörst du nicht mehr zu Neapel. Wie manche afrikanischen oder südamerikanischen Städte nimmt dich auch Neapel sofort auf. Diese Zugehörigkeit verlierst du aber sofort wieder, sobald du wegziehst und zwischen dem hautnahen Erleben und deinem Urteil Abstand schaffst. Dann darfst du nicht mehr darüber sprechen. Es ist dir untersagt. Du musst drin sein, sonst bekommst du immer nur ein und
    dieselbe Antwort zu hören: »Was hast du schon für eine Ahnung?«
    Ich weiß, dass in Neapel die sicherste Zahl, auf die man immer setzen kann, die 62 ist, ’o muort’ acciso, der durch Mord ums Leben Gekommene. Ich weiß, dass die Stadt diese Ermordeten häufig fast wie die Zahl 48 behandelt, den sprechenden Toten, als der ich selbst mich fühle. Neapel entledigt sich ihrer, stößt sie aus. Es sind Leute von außerhalb, aus Scampia, Secon-digliano und den anderen Gemeinden im Norden der Stadt, wo nach ein paar Jahren relativen Friedens jetzt eine blutige Fehde entbrannt ist. Einer von ihnen ist Andrea Nollino, der von einem Motorrad aus erschossen

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