ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Unbekannten annehmen. Boss, einem braunen Labrador in Rio de Janeiro, ist soeben dasselbe Schicksal widerfahren. Neun Polizisten wechseln sich mit seiner Bewachung ab, seit die Order abgefangen wurde, die »Schokolade« auszuschalten, die sich auch von Scheinwänden und Kloakengerüchen in den Favelas nicht täuschen lässt. Die Hunde graben mit Eifer, bellen, scharren und kratzen an einem Gegenstand: das Zeichen, dass dort die Droge versteckt ist. Ein Signal, dass sie das Spiel wieder einmal gewonnen haben und bereit sind, ein neues anzufangen. Für andere ist es kein Spiel. Ihnen bleibt nur die Demütigung, Fleisch und Blut zu sein. Wie für den Schäferhund Pay De Limon, »Zitronentorte«, der wie Dutzende seiner Artgenossen von den mexikanischen Narcos verstümmelt und zerstückelt wurde. An ihnen üben sie, bevor sie dem Opfer einer Erpressung einen Finger abschneiden.
Labrador-Hunde, Deutsche und Belgische Schäferhunde, häufig aber auch ausgesetzte Mischlinge wie Kristal, der als streunender Hund ein böses Ende riskierte und jetzt einer der besten Drogenspürhunde von Grosseto geworden ist. Die Geschichte der Hunde mit der feinen Nase ist weitaus älter als ihre Spezialisierung auf die Jagd nach dem weißen Pulver. In Italien werden sie schon seit hundert Jahren erfolgreich eingesetzt, seit dem 16. August 1924, als der Hund des Carabinieri-Unteroffiziers Ovidio Caratelli von einem üblen Geruch in der Macchia della Quartarella angezogen wurde. Es war die Leiche des Oppositionspolitikers Giacomo Matteotti, den Mussolinis Schergen zwei Monate vorher entführt und ermordet hatten.
Doch ihr Spürsinn und ihr Instinkt stehen auch im Dienst der Camorra. Im Hof einer Mietskaserne der Case Celesti in Scampia hielten sich die Clans drei Deutsche Schäferhunde und einen Rottweiler als Wächter. In verrosteten Käfigen zwischen Glasscherben und Speiseresten wurden sie zur Brutalität erzogen und warnten ihre Dealer-Herrchen vor der Polizei.
Die Hunde im Dienst der kriminellen Organisationen sind nicht nur treue Aufpasser, sondern werden auch als unverdächtige Mulis eingesetzt, die große Mengen Drogen von einem zum anderen Kontinent transportieren können. Hündinnen sind dafür bestens geeignet. Denn wie lässt sich sagen, ob der dicke Bauch auf eine Schwangerschaft oder auf Kokainkapseln zurückzuführen ist? Frispa und Rex, ein schwarzer und ein gelber Labrador, wurden 2003 in Amsterdam aus einem aus Kolumbien kommenden Frachtflugzeug entladen. Der eine war sehr aufgeregt und aggressiv, der andere wirkte schwach und apathisch. Die Beamten schöpften Verdacht und untersuchten die Hunde. Sie fanden Narben am Bauch. Ein Röntgenbild bestätigte den Verdacht: elf salamilange Päckchen Kokain im Bauch von Rex, zehn im Bauch von Frispa. Der schwarze Hund musste eingeschläfert werden, weil eines der Päckchen aufgegangen war, Rex wurde erneut operiert und konnte nach langer Genesungszeit gerettet werden. Einer auf viele, zu viele Freunde des Menschen, die geopfert werden.
Im Sommer 2012 geht ein Mann auf dem Land bei Livorno spazieren. Plötzlich nimmt er einen fürchterlichen Gestank wahr und macht eine schreckliche Entdeckung: Auf einem Acker liegt ein aufgeschlitzter, ausgeschlachteter Labrador. Er denkt an die Tat eines Sadisten, ja an ein satanisches Ritual, und verständigt die Polizei. Kaum eine Woche später wieder dieser Gestank nach verwesendem Fleisch. Diesmal ist das Maul des
Hundes, eine Kreuzung aus Bordeauxdogge und Pitbull, mit Klebeband umwickelt, und in seinem geöffneten Bauch steckt eine Plastiktüte. Kein Zufall, keine schwarze Magie, sondern ein Ende, das das weiße Pulver für seine unfreiwilligen vierbeinigen Kuriere bereithält. Es wäre zu kompliziert zu warten, bis die Tiere die Päckchen ausscheiden, es ist einfacher, sie zu schlachten und die Ware aus ihrem Bauch zu bergen. Die Hunde sind Opfer und Soldaten eines globalen Wahnsinns, auch wenn sie selbst es nur als einen spielerischen Treuebeweis wahrnehmen.
18 Wer erzählt, stirbt
Was riskiert man beim Lesen? Sehr viel. Ein Buch aufzuschlagen und darin zu blättern ist gefährlich. Wenn man einmal mit der Lektüre von Emile Zola oder Warlam Schalamow begonnen hat, gibt es kein Zurück mehr. Davon bin ich fest überzeugt. Doch oft ist sich der Leser gar nicht bewusst, welcher Gefahr er sich mit der Lektüre dieser Geschichten aussetzt. Wenn ich den Schaden beziffern könnte, den die Macht durch kenntnisreiche und wissbegierige Leser
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