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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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erleidet, würde ich es mit einem Diagramm versuchen. Verhaftungen, Gefängnis und Gerichtsprozesse können kaum etwas ausrichten gegenüber der Gefahr, die vom Wissen ausgeht, von der Kenntnis der Mechanismen und Fakten, von dem Gefühl, dass diese Geschichten deine eigenen sind.
    Wenn du dich entschließt, über die kriminelle Macht zu berichten und ihren Geheimnissen auf die Spur zu kommen, wenn du verfolgst, was auf der Straße und im Finanzsektor geschieht, hast du zwei Möglichkeiten. Und eine ist die falsche. Christian Poveda kannte beide gut. Er kannte die Unterschiede und vor allem die Folgen. Er wusste, wenn du den Sinn und Zweck deiner Arbeit darin siehst, Kugelschreiber, Computer und Kamera zu handhaben, gehst du kein Risiko ein. Du erfüllst deine Mission und kehrst mit deiner Beute nach Hause zurück. Wenn für dich aber Kugelschreiber, Computer und Kamera nur das Mittel sind und nicht der Zweck deiner Arbeit, dann sieht alles anders aus, auch das wusste Christian.
    Plötzlich ist das, was du suchst - und findest -, nicht mehr eine finstere Sackgasse, sondern eine Tür zu neuen Räumen und neuen Türen.
    »Er hat es nicht anders gewollt.« »Was hat er denn erwartet?« »Wusste er das nicht schon vorher?« Gnadenlose, böse und dennoch richtige, legitime, zulässige Fragen. Zynisch vielleicht, aber alles in allem berechtigt. Leider gibt es darauf keine Antwort. Es gibt nur das Schuldgefühl, denn als du dich entschieden hast, dich in diese Lage zu begeben, wusstest du, dass es schreckliche Folgen haben würde, für dich und für deine Familie. Trotzdem hast du es getan. Warum? Auch auf diese Frage gibt es keine Antwort. Du siehst einen Aspekt, und dahinter siehst du hundert andere. Du kannst nicht aufhören und es dabei belassen, du musst weitermachen, weiterbohren. Vielleicht weißt du, was dich erwartet, du weißt es ganz genau, aber du bist nicht leichtsinnig, du bist nicht verrückt. Den Freunden zeigst du ein Lächeln, den Kollegen ebenso, vielleicht vertraust du ihnen die eine oder andere deiner Sorgen an, aber das Bild, das du nach außen zeigst, verrät nichts von dem Konflikt, der dich zerreißt, als würdest du von zwei gegensätzlichen Kräften in unterschiedliche Richtungen gezogen. Ein Kampf, der in deinem Magen ausgetragen wird, denn dort spürst du, wie es an dir zerrt, ein unaufhörlicher Widerstreit, der dir die Eingeweide verknotet.
    Christian Poveda kannte auch dieses Gefühl. Geboren ist er in Algier als Kind spanischer, republikanisch gesinnter Eltern, die während der Franco-Diktatur in Algerien Zuflucht fanden. Damit war er von Geburt an ein Weltenbummler. Als er sechs Jahre alt ist, zieht die Familie nach Paris. Christian ist ein lebhaftes Kind mit neugierigen, forschenden Augen, die sich hinter der Brille blitzschnell bewegen, um den Dingen auf den
    Grund zu gehen und die geheimen Verbindungen zwischen ihnen zu entdecken, denn letztlich hängt alles mit allem zusammen. Die Suche nach den Zusammenhängen lässt ihn den Beruf seines Lebens ergreifen. Er wird Journalist. Mit Kugelschreiber, Computer und Kamera reist er nach Algerien, in die Karibik, nach Argentinien und Chile. Als Kriegsreporter ist er im Iran, im Irak und im Libanon. Seine Reportagen sind anders als die übliche Fernsehberichterstattung. Es ist eine andere Herangehensweise, als würde er nicht einfach nur eine Aufgabe erledigen und das Resultat nach Hause schicken. Hinter seinen Fotos und seinen Artikeln steckt stets eine Geschichte, die ihr eigenes Recht beansprucht. Hinter den Bildern, die Christian von seinen Reisen in die entlegensten Winkel der Erde mitbringt, liegen andere Welten, die ans Licht drängen. Seine Porträts zeigen wilde Tiere, die jedoch hinter den Gittern ihrer Käfige harmlos sind. Sie brüllen ihre Not heraus, aber man braucht nur den Blick abzuwenden, um ihre Klagen nicht mehr zu hören.
    Christian beschließt, den Journalistenberuf aufzugeben, und fängt an, Dokumentarfilme zu drehen. Ein weiteres Instrument seiner Neugier, das alle vorherigen - Kugelschreiber, Computer, Kamera - in sich schließt und es ihm endlich erlaubt, das Tier im ungezähmten Zustand zu betrachten. Seinen ersten Dokumentarfilm dreht er 1986: Chili: les guerriers de l’ombre (Chile: die Schattenkrieger) über die Rebellengruppe Mapu Lautaro, die gegen das faschistische Pinochet-Regime kämpfte. Mit El Salvador scheint er den Ort gefunden zu haben, nach dem er gesucht hatte und wo er wirklich nützlich sein konnte.

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