ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
widmete sich außergewöhnlichen politischen und sozialen Brennpunkten und drehte sechzehn Dokumentarfilme, die bei den renommiertesten Festivals der Welt Anerkennung fanden. Oft, wenn ich in eine Buchhandlung gehe oder bei Leuten zu Hause die neben dem Fernseher gestapelten DVDs durchsehe, suche ich nach La vida loca. Ich finde den Film fast nie. Wofür bist du gestorben, Christian? Ein melodramatisches Lamento, das ich da anstimme. Hätte dein Leben mehr Sinn gehabt, wenn dieser Dokumentarfilm in jeder Wohnung vorhanden wäre? Ich glaube nicht. Es gibt kein Werk, das einem Ende mit einer Kugel im Kopf Sinn und Rechtfertigung geben könnte. Deine letzten Worte besagen mehr als jeder Grabspruch: »Die Regierung hat keine Ahnung, welches Ungeheuer sie da vor sich hat. Die Mara 18 ist jetzt voller Durchgeknallter. Ich bin sehr besorgt ... und traurig.«
Traurig, ja.
19 Addicted
Über Kokain zu schreiben ist, wie selbst welches zu nehmen.
Du verlangst nach immer mehr Nachrichten, immer mehr Informationen, und was du findest, saugst du gierig auf. Du bist addicted, süchtig. Auch wenn diese Geschichten einem erkennbaren Muster folgen, faszinieren dich ihre Details. Sie lassen dich nicht los, bis eine neue unglaubliche, aber wahre Geschichte die alte verdrängt. Du merkst, wie der Grad deiner Abhängigkeit zunimmt, und hoffst, dass keine Entzugserscheinungen auftreten. Deshalb sammle ich immer weiter, bis zum Überdruss, mehr als nötig wäre. Während ich die Arbeit an diesem Buch abschließe, erreicht mich eines Abends ein Anruf aus Guatemala: El Chapo sei bei einem Feuergefecht erschossen worden. Einige Quellen gehen von einer gesicherten Nachricht aus, andere halten es für das übliche Gerücht. Ich weiß nicht, ob ich es glauben soll, es wäre nicht das erste Mal, dass über die Hauptakteure des Drogenhandels Unwahrheiten in Umlauf gesetzt werden. Solche Nachrichten wirken auf mich wie grell auflodernde Stichflammen. Wie Schläge in die Magengrube, dass mir Hören und Sehen vergeht. Aber warum vernehme nur ich diesen Lärm? Je tiefer ich in die Höllenkreise des weißen Pulvers hinabsteige, desto mehr merke ich, dass die Leute keine Ahnung haben. Da fließt ein Strom unter den großen Städten durch, ein Strom, der in Südamerika entspringt, Afrika durchquert und sich überallhin verzweigt. Männer und Frauen flanieren durch die Via del Corso in Rom und
die Boulevards von Paris, besuchen den Times Square und laufen mit gesenktem Kopf durch die Straßen von London. Hören sie denn gar nichts? Wie können sie diesen Lärm nur aushalten?
Da ist zum Beispiel die alte Geschichte von Griselda, der grausamsten Frau des kolumbianischen Drogenhandels. Als Mädchen hat sie gelernt, dass alle Männer Mittel zum Zweck sind, Instrumente, die man manipulieren kann, um immer höhergesteckte Ziele zu erreichen. Eine Lebensweisheit, die im Fall von Griselda nicht weiter verwundert. Der Bordellbesitzer Senor Blanco, halb indianischer Abstammung, schwängerte ihre Mutter und setzte sie auf die Straße, sobald das Kind geboren war. Alkoholisiert, arm, vergewaltigt und verzweifelt schleppte Griseldas Mutter ihre Tochter durch die verdreckten Straßen von Medellin und zwang sie zu betteln. Zwei armselige, Almosen heischende Wesen, die sich nur dann trennten, wenn die Mutter sich wieder einmal von einem irgendwo aufgelesenen Mann schwängern ließ, bevor sie mit einem weiteren Halbbrüderchen oder Halbschwesterchen wieder zu Griselda zurückkehrte. Es sind die Jahre der violencia in Kolumbien. Gewalt ist an der Tagesordnung, und um zu überleben, muss man ebenso gewalttätig sein. Eine Schar bettelnder Kleinkinder auf der Straße sichert ein gewisses Einkommen, aber mit dreizehn geht Griselda auf den Strich. Die Männer sind für sie nur Fleischklumpen, die sich auf ihrem Körper austoben und ihr danach ein bisschen Geld geben, mit dem sie bis zum nächsten Tag über die Runden kommt. Ihre bernsteinfarbene Haut ist bald mit blauen Flecken und Kratzern, Bissen und Narben übersät, aber sie spürt sie nicht, sie tun nicht weh, es sind nur Schrammen auf ihrem dicken Panzer. Die Männer sind nur Mittel zum Zweck. Mit Taschendiebstahl verdient Griselda
noch etwas hinzu. Sie ist flink mit den Händen, hat sich aber vorgenommen, ihre Kunden nicht zu beklauen, um ihren Ruf in dem Gewerbe nicht zu gefährden. Liebe ist für sie gleichbedeutend mit einer übelriechenden Pritsche, auf die sie sich legt und wartet, bis der schwitzende Körper
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