ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
eingedrungen. Er war überzeugt, einen sicheren Zugang gefunden zu haben, er betrachtete sich als mit vielen von ihnen befreundet. Doch sich in Sicherheit zu wähnen, wenn man über kriminelle Organisationen berichtet, ist ein Widerspruch in sich, ein Fehler. In dieser Welt ist jede Sicherheit trügerisch, sie kann sich jederzeit in ihr Gegenteil verkehren.
Auch das Pech spielt in diese Geschichte hinein. Anscheinend traf der frühere Polizist Juan Napoleon Espinoza ein Mitglied der Mara 18 und sagte ihm in betrunkenem Zustand, Poveda sei ein Informant und habe die gedrehten Videos der Polizei von Soyapango übergeben. Daraufhin kam die Gang zusammen, und nach drei langen Treffen auf dem Landgut El Arbejal in Tonacatepeque fällte sie über Poveda das Todesurteil.
Über diese Besprechungen kursieren viele Gerüchte, eine Unzahl anonymer Hinweise, Denunziationen. Einige Mitglieder verteidigten Christian und sagten, sein Verhalten sei aufrichtig gewesen, er habe gut daran getan, von den Maras aus deren Sicht zu erzählen. Andere waren neidisch und meinten, er werde daran verdienen und sich als der Gute im Kampf gegen die Bösen darstellen. Wie es scheint, setzten sich besonders die Frauen für ihn ein. Die einflussreichsten Mitglieder, die bereit gewesen waren, vor seiner Kamera zu stehen, erschraken über den Erfolg des Dokumentarfilms. Es wurde zu viel darüber geredet. Der Film kursierte im Web. Vielleicht hatte der Bulle Espinoza doch nicht gelogen und Christian hatte die Videos tatsächlich an die Polizei verkauft. Jedenfalls setzte sich der Eindruck durch, dass man ihn bestrafen müsse, da er allzu viel über die Maras an die Öffentlichkeit gebracht und die Maras in gewisser Weise instrumentalisiert hatte.
Am 30. August 2009 trifft die Gruppe die Entscheidung, Christian zu ermorden. In jenen Tagen vermittelt er ein Interview, das ein französischer Journalist der Zeitschrift Elle mit den Mädchen der Bande führen will. Erstmals verlangen seine Kontaktpersonen eine Gage von 10 000 Dollar. Obwohl ihm das nicht gefällt, geht Christian darauf ein. Die Zeitschrift hat das Geld und kann es sich leisten. Christian trifft sich mit
Vasquez Romero in El Rosario. Doch kurz nach Mittag setzt sich Vasquez Romero ans Steuer eines grauen Nissan Pathfinder und bringt den Journalisten zur Brücke des Flusses Las Canas. Hier töten sie ihn. Ich kann mir die letzten Sekunden nicht vorstellen. Ich habe es versucht. Hat Christian wenigstens für einen Augenblick verstanden, dass es eine Falle war? Hat er versucht, sich zu verteidigen, zu erklären, dass es ungerecht ist, ihn umzubringen? Oder haben sie ihn feige mit einem Genickschuss ermordet? Ein kurzer Augenblick. Sie werden so getan haben, als würden sie aus dem Auto aussteigen, und in dem Moment, da man den Türgriff betätigt, haben sie geschossen. Ich weiß es nicht, und ich werde es nie erfahren. Aber ich kann auch nicht umhin, mir diese Fragen zu stellen.
Wenn der ehemalige Polizist an jenem Tag nicht getrunken und nicht eine Menge Quatsch erzählt hätte, wäre Christian dann noch am Leben? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hätten sie ihn trotzdem getötet, weil ein paar Gangmitglieder nicht damit zufrieden waren, wie Christian sie im Film dargestellt hatte. Obwohl er ihnen zugesichert hatte, dass der Dokumentarfilm nicht in El Salvador erscheinen würde, zirkulierten ein paar Raubkopien. Vielleicht hätten sie ihn trotzdem umgebracht, weil die neue Führung der Mara 18 einer noch gewalttätigeren und grausameren Generation angehörte als die vorherige, einer Generation, die im Morden ihre Existenzberechtigung sah, egal, wer das Opfer war. Laut Carole Solive, seiner französischen Produzentin, hatte Christian den Fehler begangen, nach dem Ende der Dreharbeiten noch in El Salvador zu bleiben. Vielleicht hatte er die Vermittlungsmechanismen zwischen den zwei rivalisierenden Banden Mara Sal-vatrucha und Mara 18 durchschaut, die versuchten, sich miteinander ins Einvernehmen zu setzen. Vielleicht war das
sein Todesurteil. So viel Vertrauen er auch in diese jungen Leute hatte, vergaß Christian doch nie ein paar grundlegende Sicherheitsvorkehrungen. Beispielsweise hatte er ein Handy, das er ausschließlich dazu benutzte, die Mitglieder der Maras zu kontaktieren. Aber das hat nicht ausgereicht.
Christian Poveda glaubte, die Macht der Bilder könne den Gang der Ereignisse beeinflussen. Deshalb arbeitete er als Fotoreporter und Dokumentarfilmer. Er
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