ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Eskalation des Horrors, der sich beim Sprung von der Straße ins Netz unendlich reproduziert.
Angst und Respekt gehen Hand in Hand, es sind zwei Seiten einer Medaille: der Medaille der Macht. Die Medaille der Macht hat eine glänzende, helle und eine stumpfe, dunkle Seite. Der Blutdurst flößt den Gegnern Angst ein, nicht Respekt, jene strahlende Patina, die einem jede Tür öffnet, ohne dass man sie einschlagen muss. Alles ist nur eine Frage der Haltung: Um ganz nach oben zu kommen, musst du den Eindruck vermitteln, dass du ganz oben bist. Es ist wie beim
Hütchenspiel, bei dem du immer weißt, unter welchem Hütchen sich der Gegenstand befindet. Deshalb gibt sich El Chapo nie zufrieden, er bleibt nicht auf der erreichten Stufe stehen. Nachdem er Nuevo Laredo erobert hat, will er auch die plaza von Ciudad Juarez, einen weiteren wichtigen Vorposten an der amerikanischen Grenze, der traditionell von den Carrillo Fuentes kontrolliert wird.
Erneut treten Los Negros in Aktion. Am 11. September 2004 wird Rodolfo Carrillo Fuentes, der zusammen mit seinem Bruder Vicente die Geschicke des Juarez-Kartells lenkt, auf dem Parkplatz eines Multiplexkinos in Culiacan, der Hauptstadt des Sinaloa-Imperiums, getötet. Er ist in Begleitung seiner Frau, und seine Bodyguards können nichts ausrichten gegen El Chapos Killer, die aus allen Richtungen schießen und das Paar mit Kugeln durchsieben. Ein Affront mit einer klaren Botschaft: Das Sinaloa-Kartell hat den Boss des Juarez-Kartells respektiert, Amado Carrillo Fuentes, den Ältesten der Fuentes-Brüder, doch dies gilt nicht für seine Familie. Bis zum offenen Krieg ist es nur noch ein kleiner Schritt, und tatsächlich lässt die Rache des Juarez-Kartells nicht lange auf sich warten. Vicente Carrillo Fuentes verfügt die Ermordung eines von El Chapos Brüdern, Arturo, genannt »El Pollo«. Er wird am 31. Dezember im Hochsicherheitsgefängnis von Almoloya de Juarez ermordet: ein schwerer Schlag, der El Chapo jedoch nicht daran hindert, seine Ziele weiterzuverfolgen. Vicente hat weder das Format noch die Kontakte seines Bruders. Er kann die Herrschaft über eine so wichtige plaza wie Juarez nicht halten. Jahrelang wird die Grenzstadt zum Schauplatz eines gnadenlosen Kriegs zwischen El Chapos Männern und den Gefolgsleuten der Carrillo Fuentes. Doch am
Ende wird sich El Chapo durchsetzen, indem er das Juarez-Kartell, seinen größten Gegner, in den Grundfesten erschüttert.
Amado Carrillo Fuentes hatte das Kartell Jahre zuvor von einer Banditenorganisation in einen Clan eleganter Herren verwandelt, die italienische Designerkleidung von Brioni und Ver-sace trugen. Das äußere Erscheinungsbild war wichtig, selbst wenn man im Blitzlichtgewitter der Fotografen in Handschellen aus seiner Villa geführt wurde. Amados Sohn Vicente Carrillo Leyva trug 2009 bei dieser Gelegenheit einen schneeweißen Trainingsanzug von Abercrombie mit dem auf der Brust aufgenähten Emblem »NY«. Amado war in engem Kontakt zu den Drogenkartellen aufgewachsen. Sein Onkel Ernesto Fon-seca Carrillo, genannt Don Neto, war der Boss des GuadalajaraKartells und El Padrinos Geschäftspartner. Gewalt war sein tägliches Brot. Wer Gewalt mit der Muttermilch aufgesogen hat, weiß, sie ist eine Ressource, und wie jede Ressource muss sie wohldosiert und maßvoll eingesetzt werden. Manchmal bewirkt Geld mehr als Gewalt, und der Respekt, den sich Amado im Lauf der Zeit erworben hatte, beruhte nicht zuletzt auf großzügigen Geldzuwendungen an seine Männer, Sportautos, die er den Mächtigen schenkte, und Spenden an die Kirche, beispielsweise für den Bau eines Gotteshauses in seinem Geburtsort Guamuchilito.
Amado übernahm das in den siebziger Jahren gegründete Kartell von Rafael Aguilar Guajardo, der sich im Kampf um die Kontrolle des Drogenhandels zwischen Mexiko und den USA mit brutaler Gewalt durchgesetzt hatte. Das Juarez-Kartell, seit jeher im Wettstreit mit dem Tijuana- und dem Golf-Kartell, machte sich seine strategische Position an der Grenze zu den Vereinigten Staaten und der US-amerikanischen Stadt El Paso zunutze. Diese starke Position galt es zu halten, und Amado
war dafür der richtige Mann. Umsichtig und geduldig, beharrlich und gewitzt bewegte er seine Bauern auf dem Schachbrett, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Seine bevorzugte Waffe waren Investitionen, mit denen er die richtigen Kanäle bespielte, um sich einen uneinholbaren Vorsprung zu verschaffen: eine ganze Boeing-727-Luftflotte
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