ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
noch Halbwüchsige. Nigerianer, Slawen, Maghrebiner, Latinos. Und wie eine aristokratische Dame niemals einen Discountmarkt in der Peripherie betreten würde, so bedienen auch die Dealer nur einen ausgewählten Kundenstamm. Es gibt Dealer für die besseren Kreise und Dealer für gescheiterte Existenzen, solche für vermögende Studenten und solche für Jobber am Rand des Existenzminimums, für Schüchterne und für Extravertierte, für Unkonzentrierte und für Hasenfüße.
Es gibt Dealer, die ihre Ware von der »Basis« erhalten, die im Allgemeinen aus vier bis fünf Personen besteht: unabhängige Zellen mit engen Verbindungen zu den kriminellen Organisationen, von denen sie beliefert werden. Die Basis vermittelt zwischen den Straßendealern und den Organisationen. Sie versorgt den Kleinhandel mit bereits verschnittener Ware und stellt eine Art Puffer für die Organisationen dar: Wenn die
Basis auffliegt und ihre Mitglieder verhaftet werden, bleibt dies für die übergeordnete Ebene folgenlos, weil die untere Ebene keine detaillierten Informationen über sie besitzt. Der Dealer aus dem bürgerlichen Milieu dagegen steht in direktem Kontakt mit einem Mitglied der Organisation, bekommt aber kein festes Gehalt. Er arbeitet auf Kommissionsbasis. Je mehr er verkauft, desto mehr Geld macht er. Und er kehrt nur selten mit unverkaufter Ware zurück. Die Stärke dieses Dealers liegt darin, dass er sich mit der Zeit einen persönlichen Kreis von Zuarbeitern aufbaut. Er gibt seinen Kunden Decknamen, und wenn er sich einen Ruf erworben hat, versorgt er nur noch einen ausgewählten Kundenkreis. Wenn möglich, arbeitet er mit weiteren Dealern zusammen, die einen festen Beruf haben. Der Dealer beliefert sie, und sie wiederum nutzen ihre Kontakte, um sich einen treuen Kundenstamm aufzubauen, meist gute Freunde, ihre eigene Freundin oder ihre Geliebte. Die Mitarbeiter des Dealers aus dem bürgerlichen Milieu verkaufen Kokain niemals an Unbekannte. In dieser vielschichtigen Organisation kennt der Dealer nur die ihm am nächsten stehenden Personen, nicht die ganze Kette. Sollte einer reden, würde also jeweils nur eine Ebene in Mitleidenschaft gezogen. Darauf kommt es im Kokainmilieu an: möglichst wenig zu wissen.
Ganz unten in der Vertriebskette steht der Kleinhändler, der am Bahnhof oder an der Straßenecke dealt. Man kann ihn mit einer Tankstelle vergleichen. Oft hat er in Zellophan oder Stanniol eingewickelte Kokainpäckchen im Mund. Wenn die Polizei kommt, schluckt er sie hinunter. Andere wollen keine inneren Blutungen riskieren, sollte sich das Zellophan öffnen, und behalten die Kapseln lieber in der Tasche. Die Kleindealer machen an den Wochenenden Kohle, am Valentinstag oder
wenn die Lokalmannschaft ein Spiel gewinnt. Je mehr es zu feiern gibt, desto mehr verkaufen sie. Wie die Weinlokale oder Bierkneipen.
Der Dealer, der mir erklärt, wie man eine Zielgruppe auswählt, sieht sich eher als Apotheker denn als Kokainhändler.
»Jedes Produkt braucht eine Zielgruppe, und das Geheimnis des Erfolgs liegt darin, die richtige zu finden. Hat man sie gefunden, muss man sie mit maximaler Feuerkraft beschießen, sein Napalm abwerfen und Wünsche und Sehnsüchte auf das eigene Produkt konzentrieren. Das ist das Bestreben des modernen Menschen, der sich nach professionellen Vorgaben kleidet. Ein schwieriges Unterfangen bei einem zersplitterten Markt mit vielen Nischen, die innerhalb einer Woche auftauchen und wieder verschwinden, um sofort durch andere ersetzt zu werden, deren Lebenszyklus vielleicht noch kürzer ist. Man muss also seine Waffen beizeiten in Stellung bringen, um das wertvolle Napalm nicht sinnlos zu verschießen. Ich ziehe die Zielgruppe förmlich an. Oder vielmehr die Zielgruppen im Plural, denn auch wenn es nur eine einzige Ware gibt, gibt es trotzdem viele unterschiedliche Bedürfnisse. Heute Morgen kam eine Type zu mir, die vor ein paar Jahren noch ganz hübsch gewesen sein muss. Jetzt besteht sie nur noch aus Haut und Knochen, kränklich sieht sie aus, und ich würd’s nicht mit ihr machen, selbst wenn sie mich dafür bezahlen würde. Das einzige Lebenszeichen an ihr sind die hervortretenden Adern auf ihren Unterarmen, ihren Unterschenkeln und am Hals, aber darunter ist keinerlei Polster, eine einzige Hühnerhaut. Sie hat sich mir als Laura vorgestellt, aber das ist natürlich ein falscher Name. Sie hatte zwei hübsche hohe Wangenknochen, die ihr Gesicht gut zur Geltung brachten. Mir gefallen ausgeprägte
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