ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
ihren Plüschtieren im Bett liegt, wenn morgens der Wecker zur Schule oder zu einem Fo-toshooting klingelt und sie in ihrem Kinderpyjama
schlaftrunken ins Bad torkelt, denkt ihre Mutter, dass ihre Tochter immer noch aussieht wie ein kleines Mädchen. Und dass sie immer ihr kleines Mädchen bleiben wird, dieses Gefühl kennt wohl jede Mutter. Die Natur hat es gut gemeint mit Natalia und ihr die mütterlichen Gene vererbt: einen Körper, dem das Alter scheinbar nichts anhaben kann. Natalia ist ein unbeschwertes Kind, arglos und fröhlich, und das ist auch Lucia Gavirias Verdienst. Das mit dem Modeln verdiente Geld hat ihre Tochter noch unbeschwerter gemacht. Das ist gut, aber nicht unbedingt selbstverständlich. Zu den Plüschtieren ist ein Schrank hinzugekommen, der von Schuhen und Kleidern überquillt. Cremes, Parfüms, ein bisschen Schmuck. Sonst nichts.
Natalia Paris hat sich daran gewöhnt, ein Star zu sein, sobald sie die Wohnung verlässt. Sie hat sich an den Anblick der Mädchen auf Kolumbiens Straßen gewöhnt, die alle aussehen wie ihr Klon. Sie hat sich an die Paparazzi gewöhnt, die hinter jeder Ecke lauern, sie hat sich daran gewöhnt, Annäherungsversuche mit einem ebenso freundlichen wie entschiedenen »Nein« zurückzuweisen. Obwohl sie schon mit mehreren Jungs befreundet war, hat sie ihretwegen keinen ihrer Termine versäumt und nie den Kopf verloren.
Lucia Gaviria ist zwar immer noch in Sorge, aber viel weniger als früher. Man kann in Medellin jetzt freier atmen als noch vor ein paar Jahren. Die Zeiten sind vorbei, als sie zur Beerdigung der Tochter ihrer besten Freundin gehen musste, die eine Autobombe zerfetzt hatte. Oder als Natalia mit Schulfreundinnen eine Disco besucht und danach von einer Schießerei erzählt hatte, die sich zutrug, während sie auf der Tanzfläche stand. Dona Lucia bangt zwar immer noch um ihre Tochter, aber sie weiß, dass sie sie nicht ewig in Watte packen kann.
Aber auch die Zeiten sind vorbei, da der plötzliche Erfolg die Heranwachsende leicht aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Natalias Ruhm hat alles einfacher gemacht. Ein Star hat weniger Bewegungsfreiheit als ein gewöhnlicher Mensch. Um sich das Leben erträglich zu machen, besucht er stets dieselben Orte, wo die meisten Leute gelernt haben, so zu tun, als bemerkten sie ihn nicht, oder sogar ganz normal mit ihm umzugehen.
Doch es gibt einen Ort, der Lucia Gavirias wachsamem Blick entgeht: das Fitnesscenter. In Form zu bleiben gehört zu den grundlegenden Erfordernissen von Natalias Beruf, außerdem liebt sie körperliche Aktivitäten. Meist besucht sie Kurse für Frauen, Aerobic und lateinamerikanischen Tanz, statt in die Disco zu gehen, wo sie allzu sehr im Mittelpunkt steht; das belastet sie einfach zu sehr. Seit neuestem möchte sie tauchen lernen. Das Fitnesscenter bietet einen einwöchigen Kurs in Santa Marta an, der bekannten Touristenstadt an der Karibikküste. Die tropischen Fische machen Dona Lucia keine Angst, auch nicht der Schnorchel und die Sauerstoffflaschen. Und die Haie im Meer hält sie für weniger gefährlich als die Haie an Land.
Zuzusehen, wie Natalia sich die Tauchermaske und die Flossen abstreift, mit einem Ruck den Reißverschluss öffnet und sich aus dem Taucheranzug schält, muss ein geradezu mystisches Erlebnis sein. Doch ihr fällt gar nicht auf, dass alle sie anstarren. In ihrer Gruppe ist ein Mann, der seit dem ersten Tauchgang im Meer dieselbe magische Anziehungskraft auf sie ausübt. Er hat sich seiner Taucherausrüstung entledigt und ist vom Schlauchboot ins Wasser gesprungen. Sie würde ihm gern nachspringen, traut sich aber nicht. Stattdessen wartet sie darauf, dass er den ersten Schritt tut, und gibt ihm nur winzige
Signale: eine gelegentliche Bemerkung oder die Bitte, ihr bei irgendetwas zu helfen. Er ist ein erfahrener Taucher und hat das Tauchlehrer-Zertifikat sogar in Kalifornien erworben, wo er aus beruflichen Gründen gelebt hat. Der Tauchkurs des Fitnesscenters ist für ihn eine Gelegenheit, den geliebten Sport wiederaufzunehmen.
Das erzählt er ihr ein paar Abende später beim Essen in einem romantischen Restaurant, in das er sie eingeladen hat. Medellm ist nicht wie Los Angeles, wo man, um Energie zu tanken, auf einem Surfbrett die Wellen reiten, am Strand joggen gehen und bis zum Horizont und wieder zurück schwimmen kann. »Ich liebe meine Stadt und meine Familie, aber mir fehlen das Meer und die frische Luft.«
Natalia ist bereits verliebt. Sie ist
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