ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
bleiben überall dieselben. Ihre Macht, die aus der Globalisierung den größten Nutzen zieht, gründet auf einem doppelten Band: dem Band des Blutes und der Herkunft auf der einen Seite und dem strikten Festhalten an den immateriellen Fesseln der Riten und Gesetze auf der anderen Seite.
Die ’ndrine kamen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit unbescholtenen Einwanderern nach Australien. Sie investierten schmutziges Geld aus Italien in legale Aktivitäten und begannen mit dem Anbau von Cannabis, für den sie in Australien fruchtbares Land in Hülle und Fülle sowie günstige klimatische Bedingungen vorfanden. Dann kam das Kokain, und alle in Australien ansässigen Familien stiegen in dieses Geschäft ein: die Familien aus Plati, Sinopoli und Siderno, die mit der mächtigen kanadischen Dependance verbunden waren.
Nicola Ciconte hat am engen Kontakt zu Vincenzo Barbieri festgehalten, der ihm den Ermittlungen zufolge erneut 500 Kilo Kokain schickte, diesmal aus Italien. Vor allem aber hat er Geld gewaschen. Die meiste Zeit seines Lebens war er offiziell als Broker tätig: als Finanzbroker. Und Barbieri wandte sich an ihn, um die südliche Hemisphäre nicht nur mit Kokain zu beliefern, sondern auch und vor allem mit Geld. Ciconte war für Barbieri ein weiterer, durchaus nicht immer vertrauenswürdiger Kontakt, doch am Ende transferierte er das Geld via Hongkong und andere Offshore-Kanäle, um es als sauberes Geld in australischen und neuseeländischen Banken anzulegen. Nur auf den kleinen Pazifikinseln hat sich der Baum der
’Ndrangheta noch nicht ausgebreitet. Vielleicht weil es dort nur wenige Banken gibt.
Vincenzo Barbieri wird im März 2011 in einem klassischen Mafiahinterhalt ermordet. Als er am späten Nachmittag aus einem Tabakladen kommt oder auch einfach davor mit jemandem verabredet ist, nähert sich ihm ein grauer Audi A3. Zwei maskierte Killer steigen aus und feuern eine Pistole Kaliber .765 und eine Lupara auf ihn ab. Die Lupara, eine abgesägte Flinte, bringt nicht den Tod, doch ihre Schrotladung zerfetzt das Opfer: ein Ausdruck tiefer Missachtung. Die Killer schießen ihm in den Kopf, dann steigen sie ins Auto, das mit laufendem Motor wartet. Rollläden rasseln herunter, die Passanten flüchten in die Bars, um den Schüssen auszuweichen und um bloß nicht zu viel zu sehen. Es ist ein eingespielter Mechanismus, eine atavistische Reaktion, auch wenn es in San Calogero schon lange keine solche Hinrichtung mehr gegeben hat. Barbieri lebte schon seit Jahren nicht mehr hier, aber sie haben ihn hier ermordet, in seinem Dorf mit den engen, gewundenen Gassen, ungeachtet der Passanten und der Überwachungskameras. Vier Tage später wurde wenige Kilometer entfernt das ausgebrannte Auto gefunden. Ein Mord nach Drehbuch, mustergültig.
Wer hat Barbieris Tod gewollt? Oder wer mehr als andere? Warum ausgerechnet jetzt? Was war sein Vergehen, das ihm das Todesurteil eingebracht hat? U Ragioniere hatte vieles getan, was ihm die ’Ndrangheta als Fehler anrechnen konnte. Die Importe mittels Fuduli und seine Firmen waren durch zahlreiche Pfuschereien und Unregelmäßigkeiten zustande gekommen. Doch die »Ehrenmänner« lösen Konflikte lieber mit Geld, das unauffälliger und zielführender ist als Schusswaffen. Vincenzo Barbieri hatte geglaubt, sein Spiel mit jemandem treiben zu können, der sich als der schlimmste Verräter
entpuppt hatte. Dabei hatte sich Barbieri ganz schön ins Zeug gelegt. Mit seinem Komplizen Francesco Ventrici, dem »Fettkloß«, war er ausgezogen, die rote, »fette« Emilia zu erobern.
Dort oben kann man ungehinderter seinen Geschäften nachgehen und entspannter und freier leben als in Süditalien. Es stört niemanden, wenn man sich eine große rustikale Villa für Frau und Kinder hinstellt, im Restaurant seine außerordentlichen Versammlungen abhält und sich den geschmacklosen Luxus eines Wohnzimmers mit dem großen Ölporträt seines Vaters gönnt, der über die Szenerie wacht. Abends fährt man dann mit dem Auto eine halbe Stunde von der neuen zur alten Gemeinde, um sich in Hausarrest zu begeben. Wie Ventrici, der einen bäuerlicheren, provinzielleren Geschmack hat als sein Kompagnon. Es weckt auch keinen Argwohn, wenn man seinen gesamten Fuhrpark - Porsche, Mercedes und Maserati - jemand anderes überschreibt und mitten im Zentrum wohnt, in einem repräsentativen Penthouse in der Via Saffi in Bologna. So wie Barbieri, bei dem im Juni 2009
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