ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Kurzmeldung im Lokalteil wert ist, auch wenn die Aufmerksamkeit für die wirtschaftliche Seite der mafiösen Machenschaften in Italien inzwischen gestiegen ist. Die Nachrichten gibt es, aber sie werden nicht wahrgenommen. Und noch weniger sieht man das Geld.
    Geld ist nicht nur jene abstrakte, in ihrer Flüchtigkeit fast mystische Größe, die in unendlich großen Mengen per Mausklick vom einen zum anderen Ende des Globus transferiert und in die obskursten Fonds und riskantesten Titel investiert werden kann. Das gilt für die ’Ndrangheta und für die Mafiaorganisationen generell. Geld ist Geld. Bargeld, Notenbündel, Koffer voller Scheine, geheime Verstecke. Geld besitzt Materie und
    Gewicht, es ist eine mit den Fingern zählbare Größe und riecht nach Schimmel. Ein Geruch, den es auch dann nicht verliert, wenn es auf unerreichbaren Konten landet. Geld ist die Frucht der Arbeit, die Frucht des Baums. Keine Methode wird verschmäht, es zu waschen, zu reinvestieren und gewinnbringend anzulegen. Die großen Geldwäschesysteme mittels Finanzgesellschaften, die wie russische Puppen ineinander verschachtelt sind, lassen sich genauso nutzen wie der Kauf einer Zweizimmerwohnung oder eines Stücks Ackerland.
    Die erste Entdeckung der Operation Decollo auf den Spuren des Geldes ist unglaublich, aufgrund ihrer Dimension ebenso wie aufgrund der Einfachheit der Geldwäschemethode. Die Vibonesen kaufen ein Los des SuperEnaLotto. Im Mai 2003 gewinnt ein Los der 5-plus-1-Ziehung, das in der Bar Poker in Locri gekauft worden war. Die Verkaufsstelle gehört dem Schwiegervater von Nicola Luca, der für den Mancuso-Clan Geldwäsche betreibt. Er setzt sich sofort mit dem Gewinner in Verbindung und bietet ihm die mehr als acht Millionen Euro Preisgeld für das Los. Dann eröffnet er Konten bei der Unicredit-Bank in Mailand und Soverato, um sich das Geld der SISAL, also des italienischen Staates, gutschreiben zu lassen. Für Nicola Luca bedeutet der Lottogewinn den Höhepunkt seiner medialen Bekanntheit, sein Aufstieg in der Hierarchie der ’Ndrangheta dagegen bleibt unbemerkt. Er siedelt sich in Norditalien an und wird zum Finanzchef des ortsansässigen Ablegers der ’Ndrangheta in Cormano, die ihn zu ihrem Vertreter beim Gipfeltreffen der Organisation in der Lombardei wählt. Luca war einer von denen, die im Oktober 2009 zusammen mit den anderen Bossen der lombardischen Ortsgruppen im Circolo Giovanni Falcone e Paolo Borsellino in Paderno Dugnano ihr Glas erhoben. Die Videoaufnahme dieses Treffens
    ist im Internet das am häufigsten angeklickte Beweisdokument der Operation Crimine-Infinito.
    In Kalabrien gehören der ’Ndrangheta rund dreißig Prozent der Bevölkerung an, im Aspromonte mehr als doppelt so viel, und außerhalb ihres Ursprungsgebiets ist sie kapillarisch vernetzt. Es sind zu viele, als dass ein Laie wissen kann, wer alles dazugehört, wo die Organisation überall verbreitet ist und was sie macht. Das Skelett des Baums wird von dem rund um die feingliedrigen Verästelungen üppig wuchernden Blattwerk überdeckt.
    16 000 Kilometer vom Ursprungsort der ’Ndrangheta entfernt lebt Nicola Ciconte, ein australischer Staatsbürger. Italien verlangt seit 2004 seine Auslieferung. Das letzte Gesuch stammt aus dem Jahr 2012, nach dem Prozess in Catanzaro, in dem Ciconte zu fünfundzwanzig Jahren Haft verurteilt wurde. Im Moment zieht er noch seelenruhig durch die Bars der Gold Coast, dem Surfer-Paradies an der Ostküste, wohin er von Melbourne aus umgesiedelt ist. Seit Fuduli ihm die präparierten Steinblöcke nach Adelaide schickte, hat Ciconte in Australien eine Strafe wegen Betrugs verbüßt, er hat seine Exverlobte übers Ohr gehauen und eine Immobiliengesellschaft in den Konkurs getrieben - Peanuts im Vergleich zu dem, was er für den Landstrich getan hat, mit dem er nach wie vor eng verbunden ist. Doch in der Geschichte des Kontinents auf der anderen Erdhalbkugel ist das weiter nichts Besonderes.
    Australien ist eine so große Kolonie der ’Ndrangheta, dass diese - ähnlich wie in Kanada - im Begriff ist, ein autonomes, in sechs mandamenti oder Bezirke unterteiltes Crimine zu bilden, das sich mit Polsi direkt abspricht und an dessen Entscheidungen beteiligt ist. Sogar die Aufnahmeregelungen und die Modalitäten des Aufstiegs zu »höheren Weihen«
    behalten die australischen ’Ndranghetisti bei. Die ’Ndrangheta exportiert ihre Regeln in die ganze Welt. Ihre illegalen Aktivitäten ändern sich, doch ihre Kodizes