Zerrissen - Thriller
verletzten, so dass ich ins Kranken h aus muss.“
„Und was, wenn sie dich nicht ins Krankenhaus bringt? Wenn sie dich verrecken lässt?“
„Das wird sie nicht tun, das glaube ich nicht.“
„Keiner wird sich hier unten etwas antun. Das lasse ich nicht zu, verstanden? “
Justins Ton war unwiderruflich und Niklas wiedersprach ihm lieber nicht. Plötzlich meldete sich Ben zu Wort, der sonst am wenigsten sprach.
„Habt ihr die Briefmarken und Briefumschläge oben liegen sehen?“
„Was meinst du damit?“, fragte Justin verwirrt.
„Naja, wir könnten einen Brief nach draußen schicken.“
Justin begann zu lachen.
„Und wie willst du ihn verschicken? Mit einer Brieftaube?“
Niklas war nicht zum Lachen zumute.
„Wir schmuggeln ihn unter die anderen Briefe, die immer oben auf der Anrichte liegen. Das könnte doch klappen, oder ? Niklas?“
Niklas sah die Hoffnung in Ben s Augen und nickte. Ja, es könnte klappen. Doch richtig fest daran glauben konnte er nicht.
„Und an wen sollen wir den Brief adressieren? Wer weiß, wo unsere Eltern hingezogen sind.“
„Wie meinst du das?“, fragte Niklas und sah Justin verzweifelt an.
„Na, glaubst du denn, die sind in dem Haus geblieben , aus dem du entführt wurdest? Ich würde jedenfalls nicht mehr dort wohnen bleiben, wo ich etwas Schreckliches erlebt hätte! “
Geschockt blickte Niklas in die Augen seines Freundes, der in den vielen Jahren mehr zu einem Bruder für ihn geworden war. Waren seine Eltern vielleicht wirklich aus dem Haus ausgezogen? Waren sie vielleicht sogar nach Amerika gegangen in die Heimat von Papa? Niklas konnte seine Tränen nicht mehr verstecken. Zu sehr hatte sich die Verzweiflung in sein Innerstes gekämpft. Zu groß war seine Angst, seine Mutter hätte ihn vergessen. Justin spürte die Angst seines Freundes und überwand sich.
„Ok, wir versuchen es. Wir sind doch Athos, Porthos und Aramis, oder?“
Ein trauriges Lächeln huschte über seine Lippen, doch die Wirkung seiner Worte war groß. Ben und Niklas freuten sich und schmiedeten Pläne, wie sie am besten vorgingen. Sie sahen die verzweifelten Blicke von Justin nicht, der seit Woch en etwas Anderes vorhatte . Niklas war froh. Justin war derjenige, der einen Plan ausarbeiten und durchführen konnte. Niklas wäre dazu nicht in der Lage gewesen.
*
Isabella und Dirk saßen im Wagen und fuhren raus aus Offenburg - wieder in den Schwarzwald hinein. Je weiter sie sich von der Stadt entfernten, desto mulmiger wurde es Isabella. Es regnete in Strömen, der Himmel war dunkel und der Nebel zog über die Straßen. Dirk saß a m Steuer, denn Isabella war viel zu aufgeregt. Das war die erste heiße Spur , die sie hatten. Sie verfuhren sich zweimal, bevor sie in das Dorf kamen, in dem das Haus von Raoul Richter stehen sollte.
„Am besten übernachten wir hier und morgen suchen wir das Haus, einverstanden?“
Das war eine gute Idee, dachte Isabella. Sie brauchte eine Pause. Zu viel war i n den letzten Wochen auf sie eingeströmt. Sie fühle sich leer und ausgelaugt. Ständig hatte sie damit zu kämpfen , nichts zu trinken. Heute war der Drang nach Alkohol unberechenbar. Sie fanden eine kleine Pension. Es gab allerdings nur ein Zimmer.
„Ich gehe unter die Dusche.“
Dirk verschwand im Badezimmer und Isabella fand in der Minibar eine Flasche Rotwein. Als Dirk zurückkam, war die Flasche leer.
„Willst du mit mir schlafen?“
Dirk sah sie überrascht an.
„Was?“
Sie kam auf ihn zu und zog i h m das Handtuch von den Hüften. Sie mochte seinen Körper. Er zögerte, doch dann konnte auch Dirk sich nicht mehr zurückhalten. Isabella fühlte sich wieder wie ein Mensch. Sie verschlangen sich gegenseitig und liebten sich die ganze Nacht. Es war , als würde Isabella alles um sich herum vergessen.
*
Ian schreckte aus dem Schlaf hervor. Sein Oberkörper war nassgeschwitzt und er war völlig dehydriert. Er machte die Nachtischlampe an und setzte sich aufrecht ins Bett. Dann fing er an zu weinen. Er konnte nicht mehr aufhören. Es war wie ein Damm , der gerade durchbrochen wurde. Er hasste sich so sehr. Dafür, dass er seinen kleinen Niklas nicht beschützen konnte. Dafür, dass er ein Feigling war . Hätte er nur früher gehandelt! Wenn er sie verlassen hätte, dann wäre alles anders ausgegangen. Er hatte von der Affäre gewusst. Natürlich wusste er es. Jeder Betrogene hat eine Ahnung. Auf eine Ahnung folgt Misstrauen und auf Misstrauen folgt Kontrolle. Er war
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