Zerrissenes Herz (German Edition)
und rücksichtsvoll, fragte Julian sich. Wie lange hat er gewartet, bis er seinen Zug gemacht hat?
„Ich habe dich so sehr geliebt“, flüsterte sie. „Und das hat nicht einfach aufgehört, als sie mir erzählt haben, dass du getötet worden wärst. Irgendwann bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass Liebe niemals stirbt. Ich würde dich immer in meinem Herzen tragen, egal, was passiert. Das hat mich schließlich aus dem Nebel herausgeführt. Um Charlies willen und für meine geistige Gesundheit musste ich aufhören zu trauern und anfangen, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen.“
„Ich weiß das, Daisy. Wirklich. Und ich respektiere es. Aber jetzt musst du mir zuhören, weil ich es nur ein einziges Mal sagen werde. Du musst verstehen, dass ich dich die ganze Zeit über mit jedem Tag ein Stückchen mehr geliebt habe. An den meisten Tagen war der Gedanke daran, dich wiederzusehen, das Einzige, was mich am Leben gehalten hat. Ich habe überlebt, weil du mir etwas gegeben hast, zu dem ich zurückkehren konnte.“
Sie schluchzte leise auf. Auf ihrer Miene wechselten Hoffnungslosigkeit und Freude einander ab. „Ich verstehe. Aber während du das getan hast, habe ich getrauert. Und es war die Hölle für mich. Irgendwann musste ich mich einfach wieder zusammensetzen, sonst wäre ich auch gestorben. Ich habe dich beerdigt , Julian. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen.“
Er zuckte zusammen und wünschte sich, den Schmerz in ihrer Stimme nicht zu hören. Bevor er abgereist war, hatten sie darüber gesprochen. Sie hatten schwierige Gespräche geführt, wie sie jeder Soldat mit seinen Lieben führen musste, bevor er entsandt wurde. Er hatte ihr gesagt, sie solle ihr Leben leben, Freude und Liebe finden. Er hatte ihr diesen Brief geschrieben, der ihrim Falle seines Todes zugestellt werden sollte, und sie darin gedrängt weiterzumachen. Und doch war das alles so theoretisch gewesen, so abstrakt, wie etwas, von dem er sich nicht hatte vorstellen können, dass es jemals einträfe.
„Ich kann die Entscheidung nicht zurücknehmen, die ich getroffen habe, als ich geglaubt habe, du wärst für immer fort“, sagte sie mit erstickter Stimme.
„Das stimmt“, erwiderte er. „Und das würde ich auch nie verlangen.“
„Es tut mir leid.“ Sie schien sich die Worte förmlich von den Lippen reißen zu müssen. „Es tut mir so leid. Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, wollte ich nie etwas anderes, als bei dir zu sein. Und trotzdem habe ich es geschafft, alles zu vermasseln. Ich bin schwanger geworden, und mein Leben hat eine Hundertachtzig-Grad-Drehung von dir weggemacht. Wir sind verschiedene Wege gegangen, und dann, als es endlich so aussah, als würden wir es hinbekommen, habe ich dich erneut verloren.“
„Was soll ich dazu sagen? Wir haben beide getan, was wir getan haben. Es ist niemandes Schuld, dass es so gekommen ist.“
„Ich will wissen, was dir passiert ist. Das heißt, wenn du darüber sprechen darfst. Ich meine, wenn du es willst …“
„Es ist eine lange und in einigen Passagen grausame Geschichte.“ Er wünschte, er könnte mehr sagen.
„Ich bin eine gute Zuhörerin. Das weißt du.“
„Ich weiß. Aber dennoch werde ich es dir nicht erzählen.“
„Wieso nicht? Ich kann damit umgehen, Julian.“ In ihren Worten schwang ein fast ärgerlicher Unterton mit. „Wenn ich die Nachricht von deinem Tod überstehe, werde ich auch mit der Geschichte deines Überlebens klarkommen.“
„Daran habe ich keinen Zweifel.“ Er versuchte, die Worte zu finden, um sich zu erklären. „Hör mal, wenn wir noch kurz davor stünden, zu heiraten, würde es sich richtig anfühlen, dich mit meinem Kram zu belasten.“
„Es würde mich nicht belasten.“
„Hör mir einfach zu, okay? Wir haben einander nicht mehr.Jetzt, da du …“ Er wusste nicht, was sie war. Seine Ex? Seine ehemalige Witwe? „Jetzt, da sich alles verändert hat, können wir solche Gespräche nicht mehr führen. Und auch solche wie dieses hier nicht.“
Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Wange. Mit jeder Zelle seines Körpers wollte er sie an sich ziehen, ihr zuflüstern, dass alles wieder gut würde. Doch das konnte er nicht. Er hatte keine Garantie dafür, dass überhaupt irgendetwas wieder gut würde.
Schweigend standen sie zusammen in der Dunkelheit. Er sah die anderen durchs Fenster. Sie saßen um den Küchentisch und spielten lachend ihr Kartenspiel. Logan und sein Sohn sahen sich so ähnlich, als sie
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