Zerrissenes Herz (German Edition)
„Über Julian und mich kann ich dir ganz viel erzählen.“
„Nach der Zeremonie gehen wir gemeinsam essen“, meinte Connor. „Dann kann Remy dich auf den neusten Stand bringen.“
Trotz der zusätzlichen Überraschungsgäste bildeten sie eine der kleineren Gruppen. Julian erblickte Tanesha Sayers mit ihrer Mutter und einer ganzen Entourage aus Tanten und Cousinen; es wirkte wie ein bunter Garten schwarzer Ladies mit ausgefallenen Hüten. Sayers winkte ihm strahlend vom anderen Ende des Innenhofs zu. „Viel Glück, Sturkopf!“, rief sie.
„Dir auch.“ Da, wo sie hingeschickt würde, konnte sie es gebrauchen. Zu ihrer großen Enttäuschung war ihr Plan, Medizin zu studieren, zerschlagen worden, weil die Air Force sie woanders brauchte. Die gute Nachricht war, dass sie einen Posten in der Protokollabteilung des Pentagons bekommen hatte. Für Sayers mit ihrer scharfen Zunge sicher eine Herausforderung.
„Eine Freundin von dir?“, fragte Daisy.
„Sayers ist in meiner Abteilung.“ Er hätte zu gern gewusst, ob Daisy eifersüchtig war. Irgendwie fände er das gut, denn das würde bedeuten, dass sie etwas für ihn empfand.
„Sie nennt dich Sturkopf.“ Daisy lachte. „Das gefällt mir.“
„Hey, wie wäre es mit einem Familienfoto, bevor wir hineingehen?“, schlug Connor vor.
„Ich bin dabei“, sagte Daisy.
Julians Familie hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem, was man sich gemeinhin unter einer Familie vorstellte, aber sie waren alle miteinander verwandt. Ihm bedeutete es alles, dass sie gekommen waren. Daisy machte Fotos von Julian und seinen Verwandten in allen möglichen Kombinationen. Es war definitiv eine bunte Truppe. Connor, dessen Vater weiß war, sah in seinem neuen Anzug wie der sagenhafte Holzfäller Paul Bunyan aus. Ihre gemeinsame Mutter, die sich seit einer Weile Starr nannte, war so blond wie Olivia und Daisy, während Julians Tante, Onkel und Cousin den gleichen feinen, ebenholzfarbenen Teint hatten wie Julians verstorbener Vater. Julian selbst war eine Mischung aus hell und dunkel und wurde manchmal für einen Latino gehalten. Was für dort, wohin er entsandt werden würde, nicht das Schlechteste war.
Er konnte es kaum erwarten, Daisy zu erzählen, was er über seinen Einsatz sagen durfte, und ein wenig Zeit mit ihr allein zu verbringen. Doch jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt dafür. Ihr schien es genauso zu gehen, denn sie tat das, was sie in solchen Situationen oft tat: Sie hob die Kamera wie einen Schild zwischen sich und der Welt.
„Sie ist eine berühmte Fotografin“, erklärte Julian seinem Onkel Claude, als Daisy in die Hocke ging, um ein Foto von dem gepflegten Campusgarten mit Remy und Mimi im Hintergrund zu machen.
„Hör auf“, rief sie errötend. „Ich bin nicht berühmt.“
„Sie ist professionelle Fotografin“, erklärte Julian, froh, ihr widersprechen zu können. „Sie ist eine der jüngsten Fotografinnen,deren Arbeit je in der New York Times veröffentlicht worden ist.“
„Deine Bilder sind in der New York Times gezeigt worden?“, fragte Julians Mutter interessiert nach. Alles, was mit Ruhm und Image zu tun hatte, faszinierte sie.
„Das war ein einziger Auftrag“, wiegelte Daisy ab. „Ich hatte einfach Glück, weil es um einen Baseballspieler ging.“
„Jeder fängt irgendwo an“, sagte Julians Mom. „Ich würde die Bilder gerne mal sehen.“
„Dieses hier wird Ihnen noch viel besser gefallen.“ Daisy stellte Julian und seine Mutter nebeneinander. Hinter ihnen ragte der Uhrenturm der Cornell University auf. „Das Licht ist hier wirklich gut.“
Starr schaute auf den Turm. „Das sieht aus wie das Set eines Sniperfilms, in dem ich vor ein paar Jahren mitgespielt habe. Der Schütze war auf dem Sims unter der Uhr, und wir mussten einen Weg finden, ihm zu entkommen.“
„Und habt ihr es geschafft?“, fragte Julian.
„Ja. Soweit ich mich erinnere, habe ich irgendetwas in Brand gesteckt, wodurch sich ein Rauchvorhang gebildet hat. Wer weiß, jetzt, wo du ein Ass bei der Air Force wirst, machst du so etwas vielleicht im echten Leben.“ Sie richtete ihren Blick auf Julian, und er erkannte einen seltenen Anflug von Stolz in ihren Augen. Seine Mutter wusste so wenig über sein Leben. Einerseits machte ihn das traurig, aber andererseits war es auch sehr befreiend. Sie stellte keine hohen Ansprüche an ihn. Darum hatte er keine Schwierigkeiten, ihre Erwartungen zu übertreffen.
„Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie
Weitere Kostenlose Bücher