Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
Gedanken erst einmal sacken. Cam hat sich bei mir schon eingeschleimt, bevor ich das Krankenhaus überhaupt gezeichnet habe. Die hatten mich ohnehin schon im Visier, meinte Coulson. Mit seinem Anschwärzen hat mich Dad im Prinzip ja nur gewarnt, sonst hätten die mich nicht geschnappt, und ich hätte nicht gemerkt, dass sie mich bespitzeln. »Du bist aber nur ein kleiner Fisch. Die haben dir nämlich nicht gesagt, was unter deinem Dach wirklich vor sich geht. Und als es dir dann endlich aufgefallen ist, haben sie dir befohlen, die Klappe zu halten und dich nicht einzumischen.«
Dad macht den Mund auf, schließt ihn aber sogleich wieder.
»Kyla?«, fragt Mum erneut, aber ich kann nicht mehr sprechen, nicht jetzt.
»Tut mir leid«, bringe ich noch raus. »Ich muss mich dringend waschen.« Oben verriegele ich die Badezimmertür. Ich ziehe mich aus und werfe die Klamotten, die mit meinem, vor allem aber mit Katrans Blut besudelt sind, in den Mülleimer. Langsam und mit steifen Gliedern bewege ich mich wie eine Marionette. Meinen Körper habe ich nicht so ganz unter Kontrolle, denn es gibt so viel anderes, das kontrolliert werden muss. Sonst würde ich mich nämlich in einer Ecke hier zusammenrollen und nicht mehr aufhören zu schreien.
Blut lässt sich abwaschen, das weiß ich. Bald ist meine Haut wieder sauber und rein. Dank Cam sind ein paar neue Narben dazugekommen. Ein halbes Dutzend Stiche ziert meine Schulter, an der Seite sind es noch mehr. Bislang wirken die Schmerzmittel und halten meinen Körper am Laufen, aber gegen die wirklichen Wunden in meiner Seele können sie nichts ausrichten.
Doch von nun an werde ich nichts mehr vergessen, nie wieder. Ganz gleich, was es ist oder wie sehr es mir wehtut. Nico und dieser Arzt, Dr. Craig, haben mir an jenem Ort, an den ich mich bis heute Nachmittag nicht einmal mehr richtig erinnern konnte, Methoden beigebracht, wie ich vergessen und mich verstecken kann. Und die fehlenden Jahre zwischen der 10-jährigen Lucy und der 14-jährigen Rain? Dort bin ich gewesen. Nico und Dr. Craig haben mich gezwungen, meine Persönlichkeit zu spalten, sodass eine Seite das Slating im Verborgenen überleben konnte.
Und jetzt weiß ich auch, was der Ziegel war, der es geschafft hat, mich in zwei Teile zu trennen: zuzusehen, wie Nico meinen Vater getötet hat. Als Katran in meinen Armen gestorben ist, kehrten die Erinnerungen zurück.
In meinem Zimmer ziehe ich mir einen Schlafanzug an und wickle mich fest in die Bettdecke ein. Es klopft leise an der Tür.
Amy steckt den Kopf herein. »Darf ich dir Gesellschaft leisten?«, fragt sie vorsichtig. Ich zucke die Achseln. Sie kommt herein und Sebastian folgt ihr. Er springt aufs Bett und macht es sich auf meinem Schoß gemütlich. Amy setzt sich neben mich und legt den Arm um mich. Ich zucke zusammen, schiebe ihre Hand so hin, dass sie nicht die Naht berührt, und lehne mich an sie.
Von unten dringen Stimmen herauf. Hitzige Wortgefechte.
»Die haben mich hochgeschickt«, sagt Amy.
»Oh?«
»Tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«
»Dass ich Dad von den Zeichnungen erzählt habe. Er hat zugegeben, dass er dich verraten hat. Ich fasse es nicht.« Amy sieht ehrlich schockiert aus.
»Was hat er denn noch gesagt?«, frage ich. Meine Stimme klingt so fern, als würde ich unter Wasser sprechen.
»Unglaubliche Sachen. Dass du eine Doppelagentin der Lorder bist. Der spinnt doch.«
»Ja, der spinnt total«, flüstere ich.
»Willst du darüber reden?«
Ich schüttele den Kopf, doch statt mich mit Fragen zu bombardieren, scheint Amy eher erleichtert zu sein und schweigt. Aber sie weicht nicht von meiner Seite.
Plötzlich hört man eine Tür laut schlagen. Vor dem Haus wird ein Wagen angelassen und fährt mit quietschenden Reifen davon. Anschließend ist lange Zeit nichts zu hören, dann Schritte auf der Treppe. Mum kommt leise ins Zimmer, betrachtet mich und Amy, wie wir mit dem Kater zusammengekuschelt auf dem Bett liegen.
»Gute Idee«, sagt sie und quetscht sich noch neben mich. Drückt mich fest.
Irgendwann muss ich eingeschlafen sein. Als ich Stunden später aufwache, ist es dunkel im Zimmer, und nur noch der Kater ist bei mir.
So langsam fällt die Taubheit von mir ab und der Schmerz trifft mich mit voller Wucht. Ich weine um das kleine Mädchen, das ich einst war und das sich an nichts mehr erinnern kann, außer dass es seinen Vater geliebt hat. Und ich weine auch um ihn, der alles getan hat, um seine Tochter zu retten, dabei spielt
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