Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
sein.
Nein . Nico würde das niemals tun, er würde niemals einen Bus voller unschuldiger Schulkinder in die Luft jagen. Er kämpft gegen die Lorder.
Es ist auch mein Kampf.
Ich überzeuge Mac davon, dass es mir gut geht und dass er mich am besten allein lässt, damit ich mich beruhige. Dann schaue ich mir wieder Lucys Foto auf dem Bildschirm an. Was ist mit ihr geschehen? Ich kann es mir nicht erklären. Einen Augenblick lang ist sie ein glückliches Kind mit einem Kätzchen im Arm und einem Vater, der sie beim Schach gewinnen lässt. Und im nächsten? Ich schüttle den Kopf. Sie verschwindet mit zehn Jahren und ab diesem Moment klafft eine große Lücke in ihrem Leben. Rains Erinnerungen setzen erst mit etwa 14 ein, beim Training mit Nico und anderen Teenagern, irgendwo in einem Ausbildungslager im Wald. Wo wir gelernt haben, wie man schießt und Sachen in die Luft jagt.
Was ist in den vier Jahren dazwischen passiert?
Amy und Jazz sind mittlerweile von ihrem Spaziergang zurück. Als wir gehen, berühre ich noch einmal die Eule von Bens Mutter. Sie birgt ein Geheimnis. Eine Nachricht von Ben, die immer noch darin versteckt ist. Weil ich weiß, wo, kann ich den winzigen weißen Fleck erkennen, die Ecke eines Stück Papiers, auf dem die letzten Worte stehen, die er mir geschrieben hat. Aber ich ertrage es nicht, sie mir anzusehen. Nicht heute.
Mac muss Skye festhalten, als er versucht, uns hinterherzulaufen. Ich drehe mich um. Die traurigen Hundeaugen verfolgen uns, bis wir außer Sichtweite sind.
Grüne Bäume, blauer Himmel, weiße Wolken, grüne Bäume, blauer Himmel, weiße Wolken …
Aber anders.
Felder mit hohem, grünem Gras. Gänseblümchen. Eine noch nie da gewesene Fülle von Eindrücken, Bewegungen und Geräuschen. Bäume, diesmal aus der Luft, Äste, die an mir vorbeirauschen, als ich im Sinkflug hinabstürze. Ein Rascheln macht mich auf eine Maus aufmerksam, aber bis ich ankomme, ist sie verschwunden.
Egal.
Mit raschen Flügelschlägen steige ich wieder auf, die Sonne wärmt mein Federkleid. Ich sollte mich verstecken und auf die Dunkelheit warten, in der ich besser jagen kann.
Aber ich will zur Sonne fliegen, diese Erde hinter mir lassen. Wie hoch kann ich fliegen? Ich schaue in den weiten Himmel, gleite auf einem warmen Aufwind dahin und schlage dann mit den Flügeln, um den nächsten zu erreichen. Fast mühelos steige ich höher und höher. Ich kann ewig fliegen.
Unter mir verschmelzen die Bäume mit dem Feld zu einer grünen Fläche, da geschieht es plötzlich. Ein taubes Gefühl breitet sich in mir aus, und um in der Luft zu bleiben, muss ich stärker mit den Flügeln schlagen. Dann eine Falle. Als wäre ich in einer eulenförmigen Kiste gefangen, die sich zusammenzieht und immer enger wird, mich gewaltsam umschließt und immer enger wird, ganz gleich wie sehr ich dagegen ankämpfe. Bis sich das Fleisch und die Federn in der Falle zu Sehnen, Blut und Muskeln verdicken und fester werden. Sich zu Metall verwandeln. Die Falle ist nicht um mich herum. Ich selbst bin die Falle.
Der Himmel ist nicht mehr mein Freund. Die Luft zischt an mir vorbei und die Bäume rasen auf mich zu. Ich falle tiefer, tiefer, tiefer …
Am nächsten Morgen fahre ich mit Mum durch die Londoner Straßen, die ich nun mit anderen Augen sehe. Die Bedrohung ist deutlich spürbar. So nah am Krankenhaus stehen an jeder Ecke Lorder in der schwarzen Kleidung der Einsatzkommandos und tragen Maschinengewehre, immer zu zweit oder dritt und zahlreicher als bei unserem letzten Besuch. Ich sehe die äußeren Zeichen des Konflikts: Verlassene und heruntergekommene Häuser mit vernagelten Fenstern stehen neben völlig intakten Gebäuden. Die eigentlichen Leidtragenden sind jedoch die unterworfenen Menschen. Man erkennt es daran, wie sie durch die Straßen gehen, an ihren Blicken und wovor sie die Augen verschließen. In London ist es viel schlimmer als auf dem Land.
»Alles okay?«, fragt Mum und ich nicke. »Dein Dad wird zu Hause sein, wenn wir zurückkommen. Er hat vorhin angerufen.« Sie erwähnt das nebenbei, fast schon zu beiläufig, damit es nicht gekünstelt wirkt, erreicht aber genau das Gegenteil.
»Stimmt irgendwas nicht?«, hake ich nach. Es ist mir einfach so rausgerutscht.
»Warum fragst du?«
»Du wirkst irgendwie komisch, wenn du von ihm redest, das ist alles.« Beim letzten Mal hat sie einfach das Thema gewechselt, als ich sie auf Dad angesprochen habe.
Lange Zeit antwortet sie nicht und konzentriert sich
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