Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
eine Zukunft für sie bereit?«
In mir gibt es eine Stimme, die tobt und schreit und wütet. Sieht er sich in dieser Rolle? Hat er mich nur ausgenutzt, und nun, da er erkennt, wie wertlos ich bin, sortiert er mich aus? Aber die Kälte und Taubheit in mir überwiegen. Und wenn ich ihm jetzt ins Wort falle, ist es womöglich das Letzte, was ich tun werde.
»Da stellen Sie mir aber merkwürdige Fragen«, sagt Dr. Lysan der. »Kylas Zukunft? Die haben Sie ausgeblasen wie ein Streichholz, weil Sie sie heute für Ihre Zwecke missbraucht haben.«
»Dann können wir ihr ja gleich ein Ende setzen.« Er geht zum Schreibtisch und nimmt eine Pistole aus der Schublade. Prüft den Lauf. Lächelt. Entsichert sie lässig und richtet sie auf meinen Kopf.
Nackte Angst packt mich. Aber … nein. Nico würde mich nie und nimmer hier drinnen erschießen. Er mag keine Schweinereien. Dafür hätte er mich in den Wald geschleift, wenn er es wirklich vorgehabt hätte.
»Nicht«, keucht Dr. Lysander. »Bitte nicht.«
Mit gespielter Überraschung sieht er sie an. »Warum denn nicht?«
Auf die Frage ist sie nicht vorbereitet. »Ich bin Ärztin und habe einen Eid abgelegt, Leben zu retten.«
Nicos Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln. »Nein, da steckt doch etwas anderes dahinter, Dr. Lysander. Es steht Ihnen ins Gesicht geschrieben. Kyla ist Ihnen ans Herz gewachsen. Das ist nicht zu übersehen. Unsere kleine Missetäterin«, sagt er und lächelt mich liebevoll an, als wäre ich ein Welpe, der mal wieder in die Ecke gemacht, den man aber trotzdem lieb hat, »ist die Tochter, die sie nie hatten. Sie haben sie gern, genau wie ich. Und um nichts anderes geht es hier, Dr. Lysander.« Er lässt die Waffe sinken. »Du kannst jetzt gehen, Kyla.«
»Was …?«
Wieder öffnet Nico die Schreibtischschublade, legt die Pistole hinein und holt etwas anderes hervor. »Hier.« Er schleudert meinen Schulausweis über den Schreibtisch. »Ich habe dafür gesorgt, dass es so aussieht, als hättest du an allen Stunden teilgenommen. Beeil dich, sonst kommst du noch zu spät nach Hause und musst dir eine Ausrede einfallen lassen.«
Verunsichert erhebe ich mich, sehe unschlüssig von Nico zu Dr. Lysander. Als Nico die Waffe in der Hand hielt, hat sie kurze Zeit die Fassung verloren. Angst vor Blut hat sie sicher nicht. Bestimmt hat sie schon Schlimmeres gesehen als Schusswunden, aber vielleicht nicht aus dieser Nähe.
Ich verlasse das Büro und kann es irgendwie nicht glauben: Dr. Lysander liegt doch tatsächlich etwas an mir.
»Warum, Kyla? Frag dich, warum«, ruft Dr. Lysander mir noch leise nach.
Nico wollte nur sein Spielchen mit ihr treiben. Um nichts anderes ging es heute.
Nico und seine Spiele, hinter denen sich weitere Spiele verbergen. Versteckte Botschaften. Manipulation. Darin ist er ein Meister und irgendetwas will er von Dr. Lysander, so viel ist selbst mir klar.
Doch sie ist ihm in jeder Hinsicht gewachsen.
Tori liegt auf einem Schlafsack, die Hände im Nacken verschränkt. Lacht.
»Was ist denn mit dir los?«, frage ich.
»Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen. ›Lasst mich gehen‹«, äfft sie mich mit flehender Stimme nach.
»Das hast du wohl richtig genossen!«
Tori setzt sich auf. »Ja, vielleicht. Außerdem war ich auch sauer auf dich wegen Ben«, sagt sie. »Aber jetzt sind wir quitt. Freunde?« Sie hält mir die Hand hin, doch ich stampfe wutentbrannt aus dem Haus. Ihr Gelächter klingt mir nach.
Während ich in den Wald gehe, überkommt mich plötzlich die Angst, sie könnten mich nur zum Schein laufen gelassen haben. Und dass Nico mich tatsächlich irgendwo umbringen will, wo es keine Schweinerei gibt. Dass er mir die anderen hinterherschickt. Aber nur Katran folgt mir und eine Schusswaffe scheint er nicht dabeizuhaben. Wobei er die bei mir auch kaum brauchte.
»Rain?«, ruft er. Ich reagiere nicht. »Strafst du mich jetzt mit Schweigen?«, fragt er kurz darauf.
Ich zucke die Achseln.
»Was genau nimmst du mir denn nun übel?«
»Ich bin viel zu durchgefroren, müde und leer, um darauf einzugehen.« Sobald die Worte raus sind, sind sie mir auch schon peinlich. Ich lehne mich gegen einen Baum.
»Ich konnte dir nichts verraten, tut mir leid.«
»Welchen Teil konntest du mir nicht sagen? Den mit dem Hinterhalt, dass ihr nicht auf mein Zeichen warten wolltet? Dass ich auch gefangen genommen werde? Dass meine Gefangennahme nur fingiert war? Was jetzt genau?«
»Alles. Wenn du eingeweiht gewesen wärst,
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