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Zerstöre mich

Zerstöre mich

Titel: Zerstöre mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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eine grauenhafte Qual für mich.
    Zu wissen, dass sie das alles erleben musste.
    Ihre eigenen Eltern haben ihr das angetan, haben sie ihr Leben lang abgelehnt und misshandelt. Bislang war Mitgefühl etwas Fremdes für mich, aber jetzt ertrinke ich darin, werde in eine Welt gezogen, zu der ich früher keinen Zugang hatte. Ich hatte zwar immer geglaubt, dass uns vieles miteinander verband. Aber ich wusste nicht, wie klar ich das spüren konnte.
    Diese Gefühle bringen mich um.
    Ich stehe auf. Gehe im Zimmer auf und ab, bis ich mutig genug bin weiterzulesen. Hole tief Luft.
    Blättere um.
    Etwas schwelt in mir.
    Etwas, das ich nicht erkennen und nicht anerkennen will. Ein Teil von mir will blindwütig den Käfig zerstören, in dem ich eingesperrt bin, ein Teil von mir hämmert an die Tore meines Herzens, verlangt die Freiheit.
    Verlangt verzweifelt, loslassen zu dürfen.
    Tag für Tag scheine ich denselben Alptraum zu haben. Ich öffne den Mund, um zu schreien, zu kämpfen, die Fäuste zu schwingen, doch meine Arme sind bleischwer, und ich schreie, aber niemand hört mich, niemand kann zu mir kommen, und ich bin gefangen. Das bringt mich um.
    Immer musste ich fügsam und unterwürfig sein, bitten und betteln und mich verbiegen, um die anderen in Sicherheit zu wiegen. Immer habe ich darum gekämpft, unter Beweis zu stellen, dass ich harmlos bin, dass ich nicht gefährlich bin, dass ich unter Menschen sein kann, ohne ihnen Schaden zuzufügen.
    Und ich bin so müde so müde so müde so müde und manchmal bin ich so wütend
    Ich weiß nicht, was mit mir geschieht.
    »Gott, Juliette«, keuche ich.
    Sinke auf die Knie.
    »Rufen Sie mir sofort einen Wagen.« Ich muss raus. Ich muss raus hier.
    »Sir? Ich meine, ja, natürlich – aber wo –«
    »Ich muss die Siedlungen inspizieren«, sage ich. »Muss vor dem Treffen heute Abend meine Runden machen.« Das ist zugleich wahr und gelogen. Aber im Moment ist mir alles recht, um dieses Tagebuch aus meinen Gedanken zu vertreiben.
    »Gewiss, Sir. Soll ich Sie begleiten?«
    »Das ist nicht nötig, Lieutenant, aber danke für das Angebot.«
    »Ich – S-Sir«, stammelt Delalieu. »«Aber n-natürlich, g-gerne, es ist mir eine Freude, Ihnen behilflich –«
    Großer Gott, ich bin völlig kopflos. Ich bedanke mich sonst nie bei Delalieu. Der arme Mann kriegt bestimmt gleich einen Herzinfarkt.
    »In zehn Minuten möchte ich losfahren«, falle ich ihm ins Wort.
    Er verstummt. Dann: »Ja, Sir. Danke, Sir.« Die Verbindung bricht ab.
    Ich presse mir die Faust auf den Mund.

13
    Wir hatten Häuser. Früher.
    Unterschiedliche Arten von Häusern.
    1-stöckige. 2-stöckige. 3-stöckige.
    Wir kauften Gartendekor und Lichterketten, lernten Fahrradfahren ohne Stützräder. Wir erstanden ein Leben und richteten uns in diesen Häusern ein, in festgefügten Strukturen.
    Lebten dort eine Weile.
    Lebten die vorgegebenen Geschichten, die Prosa jedes Quadratmeters, den wir erworben hatten. Gaben uns zufrieden mit den Wendungen der Handlung, die unser Leben nicht wesentlich änderten. Unterschrieben auf der gestrichelten Linie für Dinge, die wir vorher nie haben wollten. Aßen Dinge, die uns nicht guttaten, gaben Geld aus, obwohl wir zu wenig hatten, vernachlässigten den Planeten, den wir bewohnten, und machten alles kaputt kaputt kaputt. Nahrung. Wasser. Ressourcen.
    Bald war der Himmel grau durch Verschmutzung, Genmanipulation richtete Pflanzen und Tiere zugrunde, und Gifte waren in der Luft, der Nahrung, unserem Blut, unseren Knochen. Es gab kein Essen mehr. Die Menschen starben. Unser Reich zerfiel.
    Das Reestablishment versprach, uns zu helfen. Uns zu retten. Eine neue Gesellschaftsform zu schaffen.
    Doch stattdessen wurden wir zerstört.
    Ich halte mich gerne in den Siedlungen auf.
    Ein sonderbarer Zufluchtsort, aber so viele Menschen auf diesem riesigen offenen Gelände zu sehen, ruft mir immer meine eigentlichen Aufgaben in Erinnerung. Ich habe so häufig nur die Wände des Stützpunkts vor Augen, dass ich sowohl die Menschen vergesse, für die wir kämpfen, als auch jene, gegen die wir kämpfen.
    Das gefällt mir nicht.
    Meist suche ich jeden einzelnen Containerblock auf, begrüße die Leute, erkundige mich nach ihren Lebensbedingungen. Es interessiert mich, wie ihr Leben jetzt aussieht. Denn für alle anderen hat sich die Welt verändert. Nur meine ist gleich geblieben. Reglementiert. Isoliert. Trostlos.
    Es gab einmal eine bessere Zeit. Damals war mein Vater nicht immer so wütend. Ich war

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