Zerstörter Traum vom Ruhm
Martina vor. »Einen Augenblick warten. Er soll nicht wissen, daß ich hinter der Tür gewartet habe.«
Sie zählte bis zwanzig, dann drückte sie die Klinke herunter und zog die Tür auf. Ein Wall von roten Rosen quoll ihr entgegen. Und über den Rosen der Teil eines schmalen Kopfes und ein fast verschämtes Lächeln. Und durch die Rosen wehte eine Stimme zu ihr herüber.
»Dürfen meine Blumen und ich um Einlaß bitten?«
Martina Schneewind nickte. Die Antwort blieb ihr in der Kehle stecken. Es war alles so anders, als sie sich die erste Begegnung vorgestellt hatte.
»Ich freue mich, daß Sie gekommen sind«, sagte sie endlich. »Sie – und die Blumen.«
Poltecky umfaßte mit einem Blick die Person Martina Schneewinds. Sie sieht auf den ersten Blick nicht wie eine Lehrerin aus, dachte er zufrieden.
Er blieb in der Diele stehen und legte die Hände an, als stände er stramm auf einem Kasernenhof.
»Bitte!« sagte er.
»Was?« Martina Schneewind sah Poltecky erschrocken an.
»Sie schrieben mir: ›Der persönliche Eindruck ist nach der Physiognomie-Theorie des Cesare Lombroso immer von nutzen!‹ – Also bitte: Bedienen Sie sich. Sammeln Sie einen Eindruck – und dann werfen Sie mich hinaus. Nach Lombroso muß ich aussehen wie ein Vollgangster!«
Martina Schneewind schüttelte lachend den Kopf. Der Bann, der noch über ihr lag, war gebrochen. »Sie sind eine Type!« rief sie fröhlich und schüttelte wieder den Kopf. »Sie sehen aus, wie ein großer Junge mit Illusionen aussehen muß!«
»Ich habe kaum Illusionen.«
»Sie leben doch davon! Sie verkaufen sie doch als Ihr geistiges Eigentum. Oder erleben Sie als Schriftsteller alles, was Sie niederschreiben?«
»Um Gottes willen – nein!«
»Also doch Illusionen! – Das ist Logik, mein Herr.«
»Und das bei einer so schönen Frau! Ich bekenne mit Freuden, daß ich die erste Schlacht verloren habe.«
Es wurde noch viel gesprochen an diesem Tag. Und es waren immer die gleichen Dinge, die zwei Menschen sprechen, wenn sie allein zusammen sind und im Herzen den Willen haben, einander näherzukommen. Und doch war es etwas anderes: Martina begann nämlich zu rechnen.
»Sie wollen einen Film drehen«, sagte sie und spitzte dabei einen Bleistift. »Wieviel kommt dabei heraus?«
»Eine ganze Menge«, antwortete Poltecky verblüfft.
»Ungefähr?«
»Wenn es ein Geschäft wird, könnten für mich gute 40.000 DM herausspringen. Oder auch 50.000 DM. Es wird immer ein Geschäft.«
»Und wenn man das Geld dann wieder investiert?«
»Werden die Anteile natürlich größer. Man kann Millionär werden.« Poltecky lächelte, als habe er eine unverzeihliche Dummheit gesagt. »Das sind wirklich Illusionen, Martina. Darf ich Sie so nennen?«
»Unverbindlich.«
Poltecky machte eine kleine Verbeugung im Sitzen. Aha, dachte er. Hier ist anderes Holz! Hier ist man zurückhaltend, vorsichtig. Man will überzeugt sein und erobert werden.
Martina Schneewind legte den Bleistift zur Seite. »Es ist also immer ein Vabanquespiel?«
»Im freien Beruf ist alles Glück, Martina. Sie als Beamtin haben es besser. Sie wissen, was Sie am Monatsersten auf Ihr Konto überwiesen bekommen. Sie können disponieren. Wir Künstler«, Poltecky genoß den Ausdruck Künstler und machte einen Augenaufschlag, »wir leben einmal aus dem vollen, ein anderes Mal kann ein Bettler mehr in der Tasche haben als wir.«
»Daher der Ausdruck ›Hungerkünstler‹?«
Martina lachte. Aber Poltecky hörte aus dem anscheinenden Witz den tieferen Ernst heraus. Er lachte deshalb nicht zurück, sondern nickte ernsthaft.
»Genauso ist es. Warum soll ich es verschweigen? Aber da bietet sich jetzt diese große Chance, aus dem Kreis auszubrechen und an die Sonne zu kommen. An die Sonne des Ruhmes, des Geldes, der Unabhängigkeit – an die Sonne des Erfolges.« Er winkte ab und beugte sich zu Martina vor. »Warum sprechen wir von diesen Geschäften, Martina?« fragte er und legte eine zärtliche Note in seine Stimme, ein Vibrato, das seine Worte wie ein zitternder Geigenstrich untermalte. »Wir haben uns kennengelernt, um – nach Lombroso …«
»Lassen Sie doch diesen Lombroso in Ruhe«, sagte Martina Schneewind und wurde rot. »Ich habe das nur so geschrieben – na ja … Ich wollte Ihnen eigentlich gar nicht schreiben. Aber jetzt freue ich mich, Sie zu sehen.«
Poltecky fühlte, wie ein Gefühl des Glücks ihn durchrann, ein so unbekanntes Gefühl, daß er nach innen lauschte, ob das Blut nicht laut
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