Zerstörter Traum vom Ruhm
Kaffeewärmer und der Flasche Bier lag ein Zettel:
»Auch wenn man noch so glücklich ist, geht das Leben weiter. Ich habe heute bis 12.30 Uhr Schule. Vor Dir steht eine Flasche Bier für den ersten Nachdurst … Dann trinke den starken Kaffee. Er wird noch heiß sein unter dem Wärmer. Zwei Brötchen habe ich Dir zurechtgemacht, sie liegen im zweiten Fach von oben des Küchenschrankes. Komm mich bitte abholen! Wir gehen dann essen. Ich küsse Dich immer und immer wieder.
Deine wahnsinnig glückliche
Martina«
Poltecky trank gehorsam die Flasche Bier, aß die beiden Brötchen und spülte den letzten Rest von Müdigkeit, Katerstimmung und schalem Alkoholgeschmack mit einigen Tassen Kaffee weg. Dann sah er auf einen Kunstkalender, der gegenüber an der Wand hing, und erschrak.
Nicht über das Bild. Was ihn erschrecken ließ, war das Datum.
Morgen war sein Urlaub von Herrn Meyers Drogerie zu Ende. Morgen früh um 8 Uhr mußte er vor dem quietschend emporleiernden Scherengitter des Schaufensters stehen und darauf warten, daß die Ladentür geöffnet wurde.
Poltecky steckte den Kopf unter den kalten Wasserstrahl des Küchenhahnes und rechnete, während er sich abfrottierte, die Zeit aus, die ihm bis morgen früh 8 Uhr blieb. Er kam zu keinem anderen Ergebnis: Entweder mußte er sofort nach Köln zurückfahren – dann war Martina zu Recht beleidigt. Oder er nahm den Nachtzug – dann stand er als Halbschlafender vor der Tür der Drogerie und würde im Lager zum Kummer Herrn Meyers ein Nickerchen halten. Außerdem wußte er, daß er den Nachtzug nie bekommen würde, wenn er Martina nach Schulschluß – also 12.30 Uhr – wieder küssen konnte.
»Ich bleibe«, sagte deshalb Franz v. Poltecky und trank noch eine Tasse Kaffee. »Mit der Aussicht, 90.000 DM im nächsten Jahr zu verdienen, kann man einmal schwänzen.«
An diesem Morgen wurde Herr Meyer in Köln an das Telefon gerufen. »Hier Drogerie Meyer!« rief er in die Muschel.
»Ich möchte gerne Herrn v. Poltecky sprechen«, sagte eine Frauenstimme. Herr Meyer sah dumm an die getünchte Decke seines Büros und schüttelte den Kopf.
»Wen bitte?«
»Herrn v. Poltecky.«
»Kenne ich nicht.«
»Das ist aber merkwürdig.« Die Frauenstimme hatte den Klang ehrlicher Verblüffung. »Mir ist von Herrn v. Poltecky Ihre Telefonnummer gegeben worden.«
»Von?« Herr Meyer erinnerte sich plötzlich, daß Franz Schuster unter diesem Namen seine Kurzgeschichten schrieb. »Natürlich, natürlich«, rief er eifrig. »Leider ist Herr v. Poltecky nicht hier. Er ist verreist. Sind sie von der Redaktion?«
»Nein.« Die Frauenstimme war etwas gedehnt. »Wohin ist er denn verreist?«
»Nach Fulda, meine Dame.«
»Nach Fulda?!« Die Stimme wurde hell. »Ich rufe ja von Fulda an!«
»Ach!« Herr Meyer wischte sich über die Stirn. »Dann sind Sie die gelähmte Tante Sophie …«
»Sie Flegel!« schrie die Frauenstimme. Dann machte es knack in der Leitung. Herr Meyer legte auf. Da stimmt etwas nicht, dachte er. Ich habe es gleich geahnt. Aber morgen kommt er ja wieder. Hat er es nötig, seinen Chef zu belügen? Oder führt er ein Doppelleben? Herr Meyer ging seufzend zurück in den Laden.
Carola Pfindt saß nachdenklich vor dem Telefon. Erst kannte er ihn nicht, dann kannte er ihn. Und dann nannte er mich eine gelähmte Tante. Was war da los in Köln? Franz sollte in Fulda sein – aber seit vier Tagen war er schon aus Fulda abgefahren!
Carola ging in das Privatbüro ihres Chefs, des Hofbuchhändlers Busch. »Wann könnte ich eine Woche Urlaub bekommen?« fragte sie. »Ich muß nach Köln in einer Familienangelegenheit.«
Herr Busch sah in seinen Terminkalender. »In drei Wochen – ja, da geht es. Ist es Ihnen recht so?«
»Aber ja. Schönen Dank, Herr Busch.«
Sie ging zurück in den Laden und setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch. In drei Wochen, dachte sie. Sieben Tage bei Franz. Ich werde in diesen sieben Tagen wissen, wann wir heiraten können. Schließlich hat er 3.000 Mark von mir bekommen. Carola Pfindt sah auf ihre Hände. Sie zitterten.
Am Nachmittag wurde Herr Meyer noch einmal ans Telefon gerufen. Wieder war es eine Frauenstimme, die fragte.
»Könnte ich bitte Herrn Schuster sprechen.«
»Der ist verreist.« Herr Meyer biß die Lippen aufeinander. »Kann ich etwas ausrichten?«
»Ich rufe lieber noch einmal an. Wohin ist Herr Schuster denn verreist?«
Herr Meyer war vorsichtig geworden. Er zögerte, ehe er antwortete: »Ich weiß nicht, ob
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