Zerstörter Traum vom Ruhm
ich berechtigt bin, Ihnen das zu sagen. Vielleicht erzählt Ihnen Herr Schuster das persönlich.«
»Sicherlich. Ich bin seine Verlobte.«
Herr Meyer stützte sich gegen die Wand. Es war ihm, als habe ihm jemand in den Magen geschlagen. »Wer sind Sie?« stotterte er.
»Die Verlobte Herrn Schusters. Erna Vorwerck vom Auswärtigen Amt in Bonn.«
»Vom …« Herr Meyer schluckte. »Er ist wirklich verreist. Aber er kommt morgen wieder. Er ist in Fulda.«
»Fulda?«
»Bei Tante Sophie.«
»Sie machen sich wohl lustig über mich, was?« Die Stimme Erna Vorwercks war wütend. »Ich danke Ihnen für die komische Auskunft.«
Herr Meyer legte den Hörer auf. In Fulda ein Mädchen – in Bonn eine Verlobte. Und das alles bei dem kleinen Gehalt eines Drogistengehilfen.
Sie hatten gegessen und tranken zum Abschluß einen Mokka.
Um sie herum war das gedämpfte Gemurmel eines mäßig gefüllten Restaurants. Ein Lautsprecher in der Ecke spielte als dezente Tischmusik leise Opernmelodien. Vier Kellner in weißen Jacken standen herum und beobachteten diskret ihre Gäste, um bei der kleinsten Geste herbeizueilen.
»Ich habe heute in der Schule nur Dummheiten geredet«, sagte Martina und legte ihre Hand auf Polteckys Finger. »Die beiden letzten Stunden habe ich einen Aufsatz schreiben lassen, mit Zeichnung. Da hatte ich Zeit genug, über alles nachzudenken.«
»Martina«, setzte Poltecky an. Aber sie drückte seine Hand und schüttelte den Kopf.
»Sag jetzt nichts. Hör mir nur zu, Franzi. Ich habe über uns nachgedacht. Innerhalb von kaum sechsunddreißig Stunden ist alles anders geworden in unserem Leben. Wenn man das in einem Roman liest oder im Kino sieht, denkt man: So etwas Blödes! Das gibt es ja nicht. Erst muß man sich richtig kennenlernen, die Fehler und die guten Seiten des anderen entdecken – auch ein richtiger, handfester Krach gehört dazu – und dann kennt man den anderen immer noch nicht. Aber innerhalb von ein paar Stunden …«
Sie holte Atem. Diese kurze Pause benutzte Poltecky, um zu sagen: »Eigentlich bin ich gar nicht mehr hier.«
Martina Schneewind sah ihn verblüfft an. »Was bist du?«
»Theoretisch nicht mehr in Hamburg. Ich muß morgen um acht Uhr meinen Dienst in der Drogerie antreten. Noch bin ich Drogist mit künstlerischen Ambitionen. Aber ich werde nicht um acht Uhr in Köln sein, weil ich nicht gefahren bin. Nicht fahren konnte.«
»Meinetwegen?«
»Ja, deinetwegen.« Poltecky nahm Martinas Hand und ließ sie schnell wieder los, als er spürte, wie kalt seine Hände gegen die ihren waren. »Ich habe nicht den inneren Stoß bekommen, wieder nach Köln zu fahren.«
»Du fühlst dich nicht wohl in deinem Beruf?«
»Doch, doch. Sehr. Bis heute oder gestern oder zu dem Tag, an dem ich die Nachricht erhielt, daß mein Film gedreht wird. Das war so, als breche eine Mauer ein, vor der ich bis zu diesem Tage gestanden hatte. Und hinter dieser brechenden Mauer war ein weites, sonniges Land. Ein Land voller Freiheit und Schönheit. Ein Traumland, Martina. Nur – zwischen mir und diesem glücklichen Land lag diese Mauer, und ich wußte, daß ich an ihren Trümmern meine Kleidung lassen und nackt in das Zauberreich gehen würde. Und davor scheue ich zurück. Ich bin ein Nichts, wenn ich über diese Mauer klettere. Doch wenn ich zurückblicke in das alte Land, in dem ich bisher gelebt habe, schaudere ich. Was soll ich tun?!«
Martina nickte ihm zu. Ihre Stimme war fest.
»Bleib hier, Franzi.«
»Das kann ich nicht. Bis ich genug Geld verdiene, bis der Film etwas einbringt, bis die neuen Drehbücher fertig sind, werden Monate vergehen.«
»Was ich verdiene, reicht gut für uns beide.«
»Auf keinen Fall.« Poltecky wollte aufspringen. Aber dann besann er sich, daß sie im Restaurant saßen und die Blicke der Kellner auf sie gerichtet waren. »Ich werde das nie tun!«
»Auch das habe ich mir heute überlegt.« Sie holte aus ihrer Schultasche einen langen Zettel hervor und legte ihn auf den Tisch. »Wollen wir einmal ganz nüchtern denken und über unsere Zukunft sprechen?«
»Wir werden dazu gezwungen, Martina.«
»Gut. – Dein Film wird gedreht. Dein Name wird bekannt. Sagen wir: In einem halben Jahr kannst du dich so weit bei den Redaktionen eingeführt haben, daß du genug verdienst, um nicht zu denken, du lebst von meinem Gehalt. Dieses halbe Jahr aber wirst du es müssen. Wir werden, so schnell es geht, heiraten. Dann sollst du die Ruhe und wirtschaftliche Unabhängigkeit
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