Zerstörter Traum vom Ruhm
der dreiundvierzigste.« Baumann lächelte und setzte nach einer Pause hinzu: »… Geprellte. Neben Ihnen stehen da Schlange: zwei Industrielle, eine kleine Privatbank, verschiedene Firmen für Optik und Filmbedarf, Handwerker und Arbeiter mit Lohnforderungen – im ganzen –«, er blätterte wieder herum »– sind es 346.000 DM, die Hermann Wulfert aus der Dummheit der Mitmenschen herausgezogen hat. Auch wenn wir ihn fangen – diese Summe kann er nie mehr zurückzahlen.«
»Mein Geld ist also verloren?«
»Rettungslos. Sie haben nur die Genugtuung, daß wir Wulfert für zehn Jahre einsperren und dann unter Sicherheitsverwahrung nehmen.«
»Das rettet mich nicht vor dem Ruin.«
Kriminaloberinspektor Baumann schenkte noch ein Glas Kognak ein. »Trinken Sie«, sagte er fast väterlich. »Das Leben wird schon noch weitergehen. Es geht immer alles weiter.«
»Nicht bei mir.« Poltecky erhob sich. Er sah noch einmal auf das Foto mit dem dicken, grinsenden Kopf. Wie konnte ich nur so blind sein, dachte er. Aber auch Martina hat es nicht gemerkt. Auch ihr kritischer Verstand hatte versagt. Ihre Menschenkenntnis, ihre Psychologie, ihre Physiognomie-Theorie von Lombroso.
»Sie werden mich benachrichtigen, wenn Sie Walker haben?« fragte er leise.
»Selbstverständlich. Schon wegen der Konfrontation. Ihre Anschrift haben wir ja.«
»Ob sie dann noch gültig ist, weiß ich nicht. Ich teile Ihnen jeweils mit, wo ich mich aufhalte. Vielleicht ziehe ich zurück nach Köln.«
Wieder auf der lärmenden Straße, entlohnte er den Taxichauffeur und humpelte mit seinem schweren Gehgips zu Fuß weiter. Er überquerte den Karl-Muck-Platz und den Gorch-Fock-Wall, schleppte sich durch die Wallanlagen und sah hinüber zum Strafjustizgebäude und den großen Blöcken des Untersuchungsgefängnisses, die jenseits der Anlagen drohend und dunkel gegen den blauen Frühlingshimmel standen.
In den Anlagen setzte er sich auf eine Bank und wußte nicht mehr, was er tun sollte.
Es war unmöglich, daß Martina die Wahrheit erfuhr. Sie hatte in langen Jahren siebentausend Mark gespart – Mark nach Mark hatte sie von ihrem Gehalt zurückgelegt und in die Bausparkasse eingezahlt. »Ich wollte mir mit diesem Geld und den Hypotheken ein schönes, kleines Haus bauen«, hatte sie gesagt, als sie ihm das Geld auf den Tisch legte. »Aber wenn es jetzt arbeitet und soviel Zinsen bringt, können wir in zwei Jahren ein schöneres und größeres Haus bauen – ohne Hypotheken. Ich weiß, daß du es schaffen wirst.«
Er hatte es geschafft – das Geld war verloren. Nie würde Martina das begreifen, und wenn sie ihm verzieh, wenn sie aus ihrer Liebe die Kraft fand, wieder von vorn zu beginnen – sie würde nie verstehen, daß in Bad Godesberg und in Fulda noch zwei Mädchen warteten und daran glaubten, in Kürze eine glückliche Ehefrau zu sein. Mädchen, die wie Martina ihr sauer gespartes Geld für die Illusion hingaben, den Geliebten als berühmten Filmautor zu sehen. Und auch Erna würde nicht verstehen, daß in Hamburg – und Carola würde nicht verstehen, daß in Bad Godesberg … Keiner würde ihn verstehen, sondern jeder würde ihn einen Lumpen nennen, einen Heiratsschwindler, einen Hasardeur, einen Schuft.
»Was soll ich tun?« fragte sich Poltecky. Er saß allein auf der Bank und sah auf sein Gipsbein.
Ich werde sie weiter betrügen müssen, dachte er. Bleibt mir eine andere Wahl? Ich werde das schreckliche Spiel mit ihren Herzen weiterspielen müssen, ich werde lieb zu ihnen sein, ich werde ihnen erzählen von den Dreharbeiten, von den Stars, von den Ateliergeflüstern – ich werde ihnen Liebe versprechen und geben und sie mit Worten und Küssen betäuben müssen, damit sie nicht mehr an das Geld denken, sondern nur an ihre Liebe. Wie gemein, wie niederträchtig – und doch die einzige Möglichkeit, Zeit zu gewinnen.
Zeit! Was bedeutete Zeit? Was sollte er tun, wenn drei oder vier oder fünf Monate vorüber waren? Wo sollte er vierzehntausend Mark herbekommen, um mit ihrer Rückgabe die Wahrheit zu gestehen. Oder auch nur siebentausend Mark, wenn er Martina heiratete und Erna und Carola enttäuschen mußte?
Ein Gedanke durchzuckte sein Gehirn. Poltecky stand auf. Er nahm sein Gipsbein und stellte es gerade. Der Gedanke war verrückt wie alles, was in den letzten Wochen durch seine Gehirnwindungen gelaufen war.
Poltecky humpelte wieder durch die Wallanlagen zum Gorch-Fock-Wall und winkte einem Taxi. Mit ihm fuhr er in die Altstadt
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