Zerstörter Traum vom Ruhm
aufgerichtet, ein dickes Kissen unter den Nacken geschoben und las in einem Buch. Ihre weißblonden Haare hatte sie zurückgekämmt und mit einer breiten Spange im Nacken zusammengerafft. Ihr schmales, zartes, hübsches Gesicht war etwas bleich.
»Julia!« rief Opperberg und schob den verlegenen Poltecky vor sich her. »Darf ich dir einen Gast vorstellen. Ein hoffnungsvoller Schriftsteller mit viel, viel Pech: Franz v. Poltecky.«
Julia Opperberg legte das Buch auf ihren Schoß und sah mit großen blauen Augen zu Poltecky empor. Welche Augen, durchfuhr es ihn. In ihnen ist eine ganze Welt. Er verbeugte sich schüchtern und nahm ihre Hand. Er küßte die Hand. Blaß und schmal lag sie zwischen seinen Fingern.
»Ich freue mich, daß Vater so nett von Ihnen spricht«, sagte Julia Opperberg. Ihre Stimme war hell und schwebend wie ein Glockenspiel. »Bitte, setzen Sie sich.«
Stephan Opperberg streichelte über die weißblonden Haare Julias und küßte dann ihre Stirn.
»Entschuldigen Sie, Herr v. Poltecky«, sagte er dabei, »daß meine Tochter nicht aufsteht. Sie ist gelähmt.«
Julia sah mit großen, starren Augen zu Poltecky auf. In ihrem Blick lag die ganze unmeßbare Qual ihres jungen Lebens, eines Lebens, das verwöhnt wurde und dem alle Schönheiten dieser Erde geschenkt werden konnten, nur nicht das Glück, über die saftgrüne Wiese zu gehen, entlang an den Blumenbeeten und hinüber zu dem hellblau gekachelten Schwimmbecken. Ein Tennisplatz leuchtete mit seinem roten Sand hinter dem Haus, aber sie würde nie vor dem Trennetz hin und her springen und mit dem Schläger den durch die Luft sausenden kleinen weißen Ball zurückschlagen. Umgeben von erfüllten Träumen, lag sie tagaus, tagein in dem Liegestuhl oder auf der Gartenschaukel oder wurde von dem Diener in einem Rollstuhl herumgefahren.
Poltecky ging auf die letzten Worte Stephan Opperbergs nicht ein. Er überhörte sie. Die Tragik dieses schönen Mädchens griff ihm ans Herz, aber er zwang sich, alles zu übersehen und weder Mitleid noch Entsetzen zu zeigen.
»Sie wohnen herrlich hier«, sagte er und setzte sich auf einen bunten Hocker, der neben Julia stand. Ihr Blick folgte ihm – er spürte, daß er nach etwas suchte. »Hierzusein und die herrliche Welt zu Füßen … Sie müssen doch das Gefühl haben, das Leben sei von unüberbietbarer Schönheit.«
»Das Leben ist schrecklich«, sagte Julia leise.
Poltecky drehte sich nach Stephan Opperberg um. Der Konsul war unbemerkt gegangen.
»Können Sie verstehen, daß es für mich eine Qual ist, alles zu sehen, aber es nicht mit den eigenen Füßen erreichen zu können?«
»Ist das nicht ein wenig ungerecht dem Leben gegenüber? Es verwöhnt Sie – und Sie bejammern sich, weil es Sie verwöhnt. Ist denn der Sinn eines Lebens gefesselt an die Beweglichkeit von Gliedmaßen? Ist das Leben weniger wert, weil Sie es nur sehen oder mit fremder Hilfe genießen können? Selbst wenn Sie blind wären, wäre das Leben herrlich. Dann sehen Sie die Blumen nicht – aber Sie riechen sie. Sie ertasten ihre Form, sie hören die Geräusche der Welt und setzen den Laut in Ihrer Phantasie in Materie um. Allein darum, daß Sie den Duft einer Blüte einatmen können, lohnt es sich, zu leben! Und Sie bejammern sich, weil Sie alles sehen und erleben können und nur Ihre Beine Sie nicht mehr tragen. Sie sollten sich schämen, Fräulein Julia Opperberg!«
Poltecky hatte es leidenschaftlich gesagt. Er hatte es erst nicht so sagen wollen, aber je länger er sprach, um so mehr wurde er von seinen eigenen Worten mitgerissen. Julia Opperberg schwieg. Sie hatte den Kopf weit zurückgelehnt, ihre weißblonden Haare hingen lang über die bunte Bespannung der Liege hinab. Sie starrte mit großen Augen in den wolkenlosen Himmel.
»Wie können Sie so mit mir sprechen?« sagte sie leise. »Sie beschimpfen mich, anstatt mich zu trösten.«
»Sie brauchen keinen Trost! Sie brauchen Wahrheit!«
»Wahrheit?« Julias Kopf zuckte zu Poltecky. »Was wollen Sie mehr an Wahrheit als das?«
Sie riß sich die Decke von den Beinen. Lang, blaß, schlank lagen sie auf dem Ruhebett, zwei wunderschöne Beine mit goldbestickten, marokkanischen Pantoffeln an den Füßen. Poltecky nickte.
»Sie sind schön wie alles an Ihnen – wie alles um Sie.«
»Sie sind tot!« schrie Julia auf.
»Sie leben!« Poltecky wußte nicht, woher er den Mut nahm. Er tat es einfach, ohne zu denken, ob es erlaubt wurde oder ob es die Grenzen, die zwischen ihm und
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