Zerstörter Traum vom Ruhm
Julia Opperberg lagen, übersprang. Er legte seine Hände auf die schlanken, blassen Beine und strich mit ihnen von den Knöcheln hinauf bis über das Knie. »Sie leben doch«, sagte er dabei. »Sie spüren doch meine Hand.«
»Aber sie bewegen sich nicht.« Julia lag mit geschlossenen Augen, den Kopf wieder weit zurückgebeugt, und hatte die Fäuste geballt. »Ich hasse dieses Leben«, sagte sie stockend. »Ich hätte es längst weggeworfen, wenn ich nicht zu feige wäre.«
»Schade!« Poltecky legte seine Hände auf ihre Knie. Julias Kopf drehte sich langsam zu ihm hin.
»Wer so vom Leben spricht, verdient es gar nicht.«
»Herr v. Poltecky!« Julias Oberkörper schnellte hoch. Sie saß, plötzlich hellrot im Gesicht, vor ihm und stieß seine Hände von ihren Beinen. »Ich werde Sie durch den Diener wegbringen lassen!«
Poltecky erhob sich von seinem Gartenhocker. »Tun Sie es, Fräulein Opperberg!«
»So hat noch keiner mit mir gesprochen!«
»Wie gut, daß ich der erste bin! Ich habe nichts zu verlieren, Fräulein Opperberg. Ich schleiche mich hier nicht in das Haus Ihres Vaters, um Vorteile zu bekommen, um Mitleid zu heucheln und durch dumme Worte das Bedauern in klingende Münze umzusetzen. Ich bin ein ganz armes Schwein. Vielleicht entsetzt Sie dieser Ausdruck – er ist in Ihren Kreisen sicherlich shocking! Aber Ihre Kreise interessieren mich nicht! Armes Schwein – das ist die Welt, in der ich lebe! Da sagt man, was man denkt, und man hat die richtigen, plastischen Worte dazu! Da draußen«, er zeigte mit langgestrecktem Arm hinunter in die Rheinebene, »jenseits Ihres Gartens Eden, warten sie auf mich, um mich kleinen Wurm noch kleiner zu machen, mich zu zertreten, völlig zu vernichten. Warum? Weil ich zu dumm zum Leben war, weil ich zu viele Ideale hatte, weil mir der tausendste Teil dessen fehlt, was Sie im Überfluß haben und so niederträchtig verachten! – So, und nun lassen Sie mich durch Ihren Diener vor die Tür werfen!«
»Alle, die hier waren, haben mich bedauert.«
»Sie brauchen kein Bedauern! Sie brauchen jemanden, der zu Ihnen sagt: Schäme dich! Dir liegt die Welt zu Füßen, und wenn dich diese Füße nicht mehr tragen können, dann schwebe über diese Welt. Wie ein Engel siehst du ohnehin aus.«
»Danke!« sagte Julia leise.
»Wofür danke?«
»Daß Sie mich einen Engel nennen!«
»Das war nur eine dumme Phrase.« Poltecky starrte mit verkniffenen Lippen auf den Rhein hinunter. »Mir fiel kein anderes Wort ein.«
»Sie müssen auch mich verstehen, Herr v. Poltecky«, sagte Julia stockend. Poltecky zog die Schultern hoch, als fröre er.
»Ich heiße auch nicht v. Poltecky – ich bin Franz Schuster. Ganz einfach Schuster! Drogist mit den Rosinen im Kopf, ein begabter Schriftsteller zu sein! Eine lächerliche Begabung, die sich allein in diesem Franz-v.-Poltecky-Namen ausdrückt. Überspannt, dumm, dreist, sich selbst verkennend und überschätzend. Das bin ich! Ein Schuster! Und ich bin kein gern gesehener Gast Ihres Vaters, sondern ich bin hierhingekommen, um Ihren Vater anzupumpen, um 14.000 Mark abzuschnurren, weil mir das Wasser nicht bis zum Hals, sondern bis zu den Augen steht. Das bin ich! Eben ein Schwein! Das ›arme‹ können wir auch weglassen, es verniedlicht nur! Und weil ich so ein dummer Tropf bin, kann ich Ihnen die Wahrheit sagen: Schämen Sie sich!«
»Ist das ein Leben, nur gefahren oder getragen zu werden? Mit 24 Jahren noch oder wie ein Säugling zu sein, den man trockenlegen muß?« schrie sie wild. Sie hatte die Fäuste geballt und schlug mit ihnen bei jedem Wort auf die Kissen des Ruhebettes. »Sie haben es leicht, mir Moralpredigten zu halten! Sie liegen nicht hier wie ein Klumpen Fleisch. Sie können gehen, Sie dürfen lieben, niemand blickt Ihnen mit mitleidigen Lämmeraugen nach, wenn Sie über die Straße gerollt werden oder aus dem Auto über die Straße in ein Lokal getragen werden, wo die anderen jungen Mädchen tanzen und fröhlich sind und im Arm ihrer Liebsten …«
Sie schlug die Hände vor die Augen, warf den Kopf zurück und schluchzte.
Poltecky schwieg. Sie hat recht, dachte er. Es muß einen Menschen durchschütteln, wenn er sieht, wie das Leben sein könnte. Aber man darf es ihr nicht sagen, man darf ihr kein Recht geben, sie soll nicht zerbrechen an ihren eigenen Gedanken. Man überwindet eine Krankheit nur, wenn man sie überwinden will.
Er wandte sich ab und ging von der Terrasse hinein in die große Wohnhalle und von dort
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