Zerteufelter Vers (German Edition)
gefühlte Freude und zum Glück machte Kirt nicht den Fehler, diese Freude auf sich zu beziehen. »Ich würde sie so gerne wiedersehen.« Kirt fragte sich, ob seine geheimnisvolle Art, immer nur das Nötigste zu sagen, langsam auf Gloria abfärbte. Er fühlte die Ruhe und Besonnenheit, die in sie kehrte; ihre Zurückhaltung. Gleichzeitig war sie gespannt bis in die Spitzen.
»Meine Mutter ist tot.« Sie sagte es bedächtig, aber auch, als hätte sie ein erneutes Mal erst richtig registriert, dass es so war! – Die bittere Wahrheit. Kirt umfasste einen Teil ihres Nebels, der in verschiedene Richtungen auseinanderglitt. Lange Zeit sagten sie gar nichts. Er verstand allmählich, welche Züge ihre Gedanken nahmen… »Wann ist sie denn gestorben?« Glorias Blick senkte sich. »Vor fast fünf Monaten.« »Und du willst, dass ich sie für dich finde…« Gloria wirkte entgeistert. »Kannst du das tun?« Kann ich sie wiedersehen?«
Bei dieser Frage stockte ihr der Atem, was auch Kirt nicht entging! »Weißt du… Ich bin nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist.« Er versuchte seine Worte möglichst sanft klingen zu lassen. »Du musst bedenken, dass sie nicht wissen würde, welch´ enge Verbindung eure Seelen einst hatten. Außerdem ist es nicht gesagt, dass sie heute ein Dasein als Seele fristet. Und hinzu kommt, dass das alles ein bisschen komplizierter ist, als du es dir wahrscheinlich gerade vorstellst. Denn…« Kirt stockte und wusste nicht, ob es der richtige Moment war, Gloria vor vollendete Tatsachen zu stellen… Also sprach er bedächtig weiter: »Der Tod ist endgültig!«
Hätte Gloria einen Körper gehabt, würden Tränen die stumme Antwort auf seine Worte zeichnen. So senkte sie nur ihren Blick, doch ihre grenzenlose Enttäuschung durchfuhr Kirt mehr als tausend Tränen ihm hätten zeigen können. Das war der Unterschied zu den Menschen: Seelen fühlten, was ihr Gegenüber fühlte! Natürlich war es absurd… Das Buch und der Gedanke, jemanden nach dem Tod wiederzusehen… Die Tatsachen, die Leben und Tod ausmachten – sie waren unantastbar, nach wie vor!
»Es wäre nur so schön gewesen, weißt du?« Gloria dachte daran, dass sie nie vorgehabt hatte, mit ihm über das Thema Tod zu sprechen. Er wusste ohnehin alles. Aber was ihre Mutter anging, war sie froh, zumindest gefragt zu haben. Kirt umschloss erneut einen fahrigen Teil ihres Seins und Gloria sprach weiter: »Ich vermisse sie so sehr. Es ist, als wäre ein Teil von mir selbst gestorben.« Sie fühlte seine Anteilnahme, seine Zuneigung und den Wunsch, sie zu beschützen. All das war ihr mehr Trost, als ein Mensch mit Worten je hätte geben können. Es war wie Balsam; wie eine stumme Antwort, die ihre dunklen Gefühle dämpfte und ihr stattdessen eine Woge von Frieden schenkten. Und plötzlich hatte es für Gloria den Anschein, nun besser akzeptieren zu können, dass alles Dasein befristet war. – Und nicht dem menschlichen Irrglauben unterlag, dass es Geister gab, die sich später im Himmel oder in der Hölle wiedertrafen.
Gloria verspürte das Bedürfnis, sich bei Kirt anzulehnen. Er umfasste einen Hauch ihrer selbst und nahm sie zu sich. Allerdings spürte sie keinen Widerstand – keine weiche Haut. »Wollen wir vielleicht wieder zurück?« Kirts Stimme klang samten. Gloria sah ihn an. Hätte er ein richtiges Gesicht gehabt, läge wahrscheinlich ein Lächeln darauf. Sie war sich sicher, dass er ihren Wunsch, seine Nähe zu spüren, aufgeschnappt hatte. Und so schön es auch sein mochte, ohne Worte einfach zu wissen, was der andere fühlte… So schade erschien es auch, nur ein Abbild dessen zu ertasten, was er war – und was Kirt ab diesem Tag immer für Gloria sein würde: Ihre ganze Liebe!
Kirt umfasste sanft ihre Gestalt und führte Gloria hinaus aus den Tiefen dieser See, zurück zur Wasseroberfläche, bis hin in eine gleißende Dunkelheit, die sie mit einer alles übertrumpfenden Kälte in dem Hier und Jetzt aufblicken ließ: Dies war seine Wohnung und in der Luft lag der Geruch von frisch gemähtem Gras. Glorias Blick fiel auf das offene Fenster, durch das das Klappern eines Rasenmähers zu hören war. Und da stand er – um Meilensteine vertrauter als jemals zuvor: Kirt! Ein zaghaftes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
18 Durchatmen
Gloria blickte in sein Gesicht. Das letzte Gefühl, das sie als Seele von ihm aufschnappen konnte, war sein Stolz. Und den konnte sie nun auch auf seinem Gesicht ausmachen. Nur lagen keine
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