Zerteufelter Vers (German Edition)
steht noch.« Sie machte dazu eine passende Handbewegung und ging auf ihn zu. »Wer hat´s eigentlich gebaut?« »Ich.« Er drehte sich um und sah sie an. Sein Blick traf Gloria mit einer Wucht, die vorher nicht da gewesen war: Sein Lächeln und seine Augen strahlten. Gestern hatte er ihr noch richtig Angst eingejagt, aber das würde er ab sofort nicht mehr schaffen! »Kletter´ hoch«, er reichte ihr das Tau und Gloria blickte ihn fragend an. »Was willst du denn da oben?« »Na, mach´ schon!« Er hielt es ihr noch immer entgegen. Gloria dachte an ihren gestrigen Versuch, den Baum hinaufzukraxeln und war froh, keinen Zuschauer gehabt zu haben. – Die Blöße wollte sie sich nun wirklich nicht geben! »Mach´ doch selber!«
Er sah sie nur kurz an und wickelte schließlich seinen rechten Arm mehrfach um das Seil. Mit einem Satz hing er sich daran und hakte seinen Fuß elegant in eine Schlaufe des Taus, bei der Gloria gar nicht wusste, wo sie so schnell hergekommen war. Es dauerte nur einen kleinen Moment, dass er mit einem Schwung sein Bein über den Ast warf und einen kurzen Augenblick später auf dem Holzboden kniete, ehe er ihr das Tau wieder nach unten warf. Super! – Blöder konnte der Tag gar nicht beginnen. Kirt würde sich gleich eins in Fäustchen lachen. Warum wollte er überhaupt da hoch?!
Widerwillig nahm Gloria das Seil in ihre Hände und schlug es – genauso wie er – mehrfach um ihren Arm. Soweit, so gut – aber wie hatte er das mit der Schlinge gemacht? Gloria beschloss, sich so schnell wie es nur ging, hinaufzuziehen. Sie baumelte in luftiger Höhe unter dem Ast – ihre Kletterei entpuppte sich als genauso schwierig wie gestern. Gloria merkte, wie die schwindende Kraft dazu führte, dass ihre Arme zitterten. Konnte dieser Kerl ihr nicht einfach helfen!? Stattdessen wartete er sitzend auf dem Holzbrett und hatte bestimmt seinen Spaß. Aber eigentlich war genau das der Unterschied zu Weimar: Dort musste sie sich nicht allein durchkämpfen. Und so blöd es klingen mochte; Gloria würde mit Sicherheit bald den Bogen heraus haben, wie man diesen riesigen Baum hochkletterte.
Sie hielt sich mit der linken Hand fest und wickelte ihre rechte ein paar Mal um das Seil. Auf diese Weise schnürte es ihr zwar das Blut ab, aber Gloria musste sich nicht mehr komplett aus eigener Kraft halten, wenn sie sich baumeln ließ. Sie holte Schwung wie bei einer Schaukel und ließ sich immer stärker zu den Seiten pendeln. Als Gloria schnell genug schaukelte, warf sie am höchsten Punkt ein Bein über den Ast, doch es missglückte. Kirt streckte ihr schließlich doch die Hand entgegen und während ihr rechter Arm noch in dem Seil hing, kraxelte Gloria mit Kirts Hilfe das letzte Stückchen empor. Geschafft – sie war oben.
»Hast du letzte Nacht überhaupt hier geschlafen oder bist du gleich unten geblieben?« Sehr witzig! Gloria schaute ihn düster an. »Natürlich bin ich hochgekommen!« »War ja nur `ne Frage.« Gloria verschnaufte und setzte sich auf das Brett, während Kirt das Seil hinaufzog. »Was willst du eigentlich hier oben?« Er drehte sich zu ihr um und grinste sie an. Erneut bekam sie ein ungutes Gefühl. Woher nahm der Kerl diese Macht? – Dabei hatte Gloria sich fest vorgenommen, keine Angst mehr vor ihm zu haben! Um ihr etwas anzutun, hätte er schon allemal die Chance gehabt. Dass sie mit diesem Typen allerdings einmal zusammen in einem Baumhaus sitzen würde, hätte sie als Letztes vermutet, nachdem sie neulich mit einem Veilchen im Hotel aufwachte.
Mittlerweile hatte Kirt sich mit dem Rücken an das Holz gelehnt und hielt immer noch das Tau in der Hand. »Ich wollte nur mal sehen, wie schlecht du hochkommst.« Da war sie wieder – seine überhebliche Art. Wenn Gloria es sich genauer überlegte, fand sie ihn nun doch nicht mehr hübsch. Er wirkte einfach zu arrogant – da halfen auch keine schöne Augen.
»Ha, ha – selten so gelacht!« Er schmunzelte, sah sie aber nicht an. Stattdessen musterte Kirt das Seil in seinen Händen und schien sich zu konzentrieren. Gloria schaute ihm dabei zu, wie er eine breite Schlaufe formte und sie zwischen Daumen und Zeigefinger festhielt. Er griff nach dem Ende des Taus und zog es zu sich heran. Kirt formte eine zweite Schlaufe, lotste das Seil einmal von unten und einmal von oben durch eine weitere Schlaufe und zog mit einem kräftigen Ruck an dem Ende des Seils, ehe er es zufrieden begutachtete. Allem Anschein nach war ihm sein Knoten gelungen. Kirt warf
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