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Zerteufelter Vers (German Edition)

Zerteufelter Vers (German Edition)

Titel: Zerteufelter Vers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daria Verner
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Weimar fahren.
    Die Zeit verging und Gloria hörte dem Rascheln der Blätter bei jedem Luftzug zu. Sie genoss die Stille und die Sicherheit, die sie in diesem Baumhaus besaß. Niemand würde ihr hier etwas antun können und seit langem konnte Gloria endlich einmal wieder in Ruhe einschlafen.
     

6 Die Gabe
    Der Tag begann für Gloria früh am Morgen. Sie wurde von einem zwitschernden Orchester geweckt und schaute in den dunkelblauen Himmel. Sie beschloss, einfach noch einmal die Augen zu schließen. Doch Gloria konnte nicht mehr einschlafen, denn die Gedanken purzelten schon wieder durch ihren Kopf. Der erste galt ihrem Vater, der zweite Kirt und der dritte – tja, das waren die vehementen Fragen, die mit diesem Buch zu tun hatten. Gloria betrachtete die hunderttausend Blätter über ihr. Sie wogen sachte im Wind hin und her und gaben den Vögeln Schutz. Gloria musste schmunzeln – dieser Baum gab nicht nur den Vögeln eine sichere Schlafgelegenheit… Hoffentlich würde sie demnächst nicht mit Vogelschiss durch die Gegend laufen müssen. Jetzt musste sie sogar grinsen.
    Kurzerhand schnappte Gloria sich wieder das Buch. Sie schlug es auf und las erneut die Todesdaten wildfremder Menschen durch. Warum gab dieses Buch nichts anderes mehr von sich preis? Wieso durfte sie nur noch diese tristen Todesanzeigen lesen anstelle eines schönen Gedichtes? Und warum musste alles immer so verworren und schwierig sein? Im Grunde genommen hatte Gloria viel zu schnell akzeptiert, welch mysteriöse Vorkommnisse das Buch begleiteten! Warum war sie nicht skeptischer gewesen, als sich die Zeilen mit scheinbarer Magie veränderten?
    Gloria fühlte sich seit Wochen wie in einem schlechten Film. Manchmal besaß sie das Gefühl, als würde sie neben sich stehen. Sie selbst wirkte so irreal, dass sich das Buch wie ein Verbündeter in ihrer subtilen Welt darstellte. Aber durch die Todesdaten hatte es sie mit einer atemberaubenden Wucht ins Hier und Jetzt zurückgeworfen. Eines musste Gloria sich eingestehen: Sie fühlte das Leben wieder deutlicher in ihren Adern pulsieren – als in Weimar, wo sie schon gar nicht mehr an ihrem eigenen Leben teilgenommen hatte. Gloria strich mit den Fingern über die Buchseiten. Was war das für ein seltsames Ding? Warum hatte ausgerechnet sie es gefunden und wieso musste Gloria sich jetzt auch noch den Kopf über wildfremde Menschen zermartern, wo sie mit sich selbst und ihrer Familie genug zu tun hatte?
    Sie las über die Daten, die das Buch schrieb und blätterte um. Ihre Finger glitten auf die nächste Seite und als Glorias Augen die Rückseite des Pergaments betrachteten, fand sie tatsächlich einen neuen Text!
     
    Fluch
    Verfluche, was du liest,
verfluche, was du siehst.
Was du weißt, kannst du nicht vergessen,
noch kannst du deine Kräfte mit den meinen messen.
     
    Oh Gott! Gloria war schockiert. Anstelle eines netten Verses schmetterte es ihr eine Ohrfeige nach der anderen ins Gesicht. Was war das für ein Teufelsding?! Sie warf es mit einem Ruck von sich – bloß weg damit – und es glitt über das Holz, auf dem sie hockte bis zur vorderen Kante. Oh nein – Gloria versuchte noch schnell danach zu greifen, aber da kippte es schon und fiel hinab. Mit einem dumpfen Aufprall landete das Buch auf der Wiese und lag mit den verkrumpelten Seiten nach unten auf der Erde. Was hatte sie sich damit nur eingebrockt? Am besten, Gloria würde es künftig ignorieren oder sogar fortwerfen. Sie könnte es einfach in den Rhein schmeißen. Dann bekam es niemand mehr in die Finger! Gloria starrte auf die Äste vor sich.
    Andererseits hatte sie damit begonnen, es zu lesen und immerhin hielt es auch schon ein sehr schönes Gedicht bereit, das Gloria jedes Mal aufs Neue las, wenn sie das Buch aufschlug: Das Gedicht über die Menschen, die man liebte. – Die einen im Herzen begleiteten und Mut zum Neuanfang gaben. Was das Buch hingegen nun von sich preisgab, schien furchtbar! Gloria sah erneut nach unten. Eigentlich war es unwahrscheinlich, dass jemand vorbeikam, aber wenn nun ausgerechnet Kirt das Buch aufhob und die Gedichte las…?
    Gloria griff nach ihrem Rucksack, stopfte eine Wasserflasche hinein und setzte sich auf den vorderen Ast. Es war gar nicht so leicht, wieder hinunterzukommen. Gloria nahm das Seil fest in beide Hände und rutschte von dem Ast. Mit einem Ruck baumelte sie an dem Tau und ließ es durch ihre Finger gleiten, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Runter ging es ja ganz

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