Zerteufelter Vers (German Edition)
und sie wusste, dass es nicht rechtens war, so mit ihm umzuspringen. Aber sie kannte keinen besseren Weg, um ihn vor dem Buch zu schützen und vor dem grausigen Wissen zu bewahren!
Gloria griff nach ihrem Rucksack und stand auf, als es plötzlich wieder klingelte. Das Display ihres Handys zeigte erneut den Namen ihres Vaters an. Sie ließ es klingeln. Wieder und wieder rief er an, doch sie nahm nicht mehr ab. Bitte wein´ nicht! Gloria hatte das Gefühl, dass er verzweifelt den Hörer umgriff. – Ein furchtbares Bild und Gloria drückte erneut auf die grüne Taste, um das Gespräch doch anzunehmen.
»Gloria, warum machst du das? Was hab´ ich dir denn getan?« Seine Worte verschlimmerten alles nur noch und Gloria konnte es nicht ertragen, ihm so weh zu tun. »Papa, du hast nichts getan. Ich versuche es dir zu erklären, okay?« Doch sie brachte es nicht übers Herz. Für ihn hätte sich die Wahrheit genauso dämlich angehört wie für Kirt. Und der hatte es immerhin als Beweis mit eigenen Augen gesehen!
»Ich verspreche dir eins: Ich komme auf jeden Fall vor Dezember noch mal nach Hause. Und du musst dir etwas Wichtiges merken: Mach´ dir bitte keine Sorgen um mich!« Gloria suchte nach den richtigen Worten. »Papa, du wirst mir nicht glauben, aber mir geht es jetzt richtig gut. Ich habe gelernt, die Dinge zu akzeptieren, die das Leben spielt. Und ich weiß, dass ich keine Angst mehr davor haben muss. Aber du musst mir ein bisschen vertrauen.« Auf der anderen Seite wurde es still. »Was machst du den ganzen Tag? Wo schläfst du? Was isst du?« Gloria suchte nach dem Buch und ging mit dem Handy am Ohr zu der Ecke, in die sie es zuletzt getreten hatte. Ihr Vater hörte sich immer noch besorgt an. Sie musste sich einfach mehr Mühe geben!
»Ich schreibe jetzt zum Beispiel Gedichte. Das hilft mir.« »Gedichte? Seit wann schreibst du Gedichte?« Gloria schlug schnell das Buch auf und suchte nach den wenigen netten, die das Buch ihr gesandt hatte. »Soll ich dir mal ein paar vorlesen?« Auf der anderen Seite wurde es still. Er schien überrascht zu sein und stimmte zu. Gloria setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und legte das aufgeschlagene Buch auf ihren Schoß.
»Ich lass´ die Schatten nicht verfinstern, mein Lachen, meinen Lebensmut. Will nicht verzweifeln, nur verstehen, die Antwort in mir selber ruht…« Gloria machte eine kurze Pause und überflog derweil schon die nächsten Zeilen, ob sie geeignet waren, vorgelesen zu werden. »So kann ich nur begreifen, wenn ich nicht flieh´ davor. So wachs´ ich an mir selbst, gepflastert helles Lebenstor.« Eigentlich hieß es ‹dunkles Lebenstor› – aber das klang zu trist! Gloria hielt inne und suchte nach den nächsten Versen, als ihr Vater plötzlich das Wort ergriff. »Hilft es dir wirklich, allein zu sein?« Gloria hörte den sanften Unterton in seiner Stimme. Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. »Ja.«
Es wurde wieder still und sie fuhr zögerlich fort: »Ich sehe nicht das Böse spuken, kein Fluch begräbt mein Denken. Will doch nur lernen wie – die Lebensbahnen lenken.« Jetzt, wo sie die Verse für sich selbst vorlas, besaßen sie sogar etwas Beruhigendes für Gloria, obwohl es natürlich nur ihre spontanen Umformungen waren. Sie lauschte seinem Schweigen. Das Eis war offensichtlich gebrochen. – Gutes Glück, denn die Gedichte gaben keine Strophe mehr her, die zu gebrauchen war. »Wie hast du denn das Gedicht genannt?« »Ähm…« Schnell schaute Gloria nach dem Titel, den das Buch diesem Gedicht verliehen hatte. »Lebenstor.« »Und warum hast du es so genannt?« Gloria überlegte sich eine plausible Antwort. »Ich dachte einfach nur, dass man sich Ziele setzen sollte… Und so Stück für Stück an seinem persönlichen Lebenstor baut.« Das hörte sich ganz schön schmalzig an, aber offensichtlich überzeugte sie ihn damit. »Und wo schläfst du, Gloria?« »In einem ganz tollen Baumhaus.«
Sie war über den Berg! Sein Zorn schien gebrochen zu sein und allem Anschein nach konnte Gloria ihn davon überzeugen, dass sie die Zeit in Düsseldorf brauchte, um ihre Trauer zu bewältigen. Sie redeten noch eine ganze Weile miteinander. Auch für Gloria hatte es etwas Beruhigendes und bevor sie auflegten, verabschiedeten sie sich auf eine normale Art und Weise – jedoch mit dem Versprechen, dass sie sich jeden Abend meldete. Gloria versicherte ihrem Vater ein letztes Mal, dass es ihr gut ging und legte schließlich auf. Das Telefonat hatte sie
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