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Zicke

Zicke

Titel: Zicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Zarr
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sah. Als er hinten reinkam, hörte ich ihn sagen: »Könnte gestern gewesen sein, nach meinem Empfinden.«
    ***
    Manchmal geschah das:
    Ich lebte das alles noch einmal. Und ich konnte nicht aufhören mich zu fragen: Was wäre, wenn? Was, wenn ich Tommy nie getroffen hätte, oder wenn ich klug genug gewesen wäre, ihm zu sagen, dass er mich in Ruhe lassen sollte, oder wenn uns mein Dad in dieser Nacht nicht nach Montara gefolgt wäre? Oder falls doch, wenn er dann die Art von Vater gewesen wäre, der mich umarmt, mir die Haare aus dem Gesicht gestrichen und gefragt hätte: »Alles in Ordnung mit dir?«
    Ja, was wäre, wenn? Ich konnte stundenlang dasitzen und es im Kopf immer wieder durchspielen, bis das Gefühl aufsteigender Tränen mich zwang, damit aufzuhören.
    Ich hasse es zu weinen. Eines der letzten Ereignisse, bei dem ich weinte, war, als Tommy und ich zum |91| ersten Mal Sex miteinander hatten – Monate vor dieser Nacht, in der uns mein Dad fand. Es tat so weh, und Tommy war stoned und achtete nicht mal auf meine Hinweise, er solle doch langsamer machen, während im Autoradio diese bescheuerte Werbung für eine Diätpille lief. Ich spürte, wie mir Tränen an den Seiten meines Gesichts hinunterliefen und mir in die Ohren tropften. Aber das Schlimmste war: Als Tommy mich weinen sah, machte er auf ganz freundlich, so:
Hey Dee Dee, nicht weinen, wird schon wieder gut, du siehst so hübsch aus … Nun komm schon, Dee Dee, komm schon.
Es war, als ob er nun etwas gegen mich in der Hand hätte, als ob er tief in etwas hineingesehen hätte, das ihn nichts anging.
    Aber Tommy war nur ein Teil der Was-wäre-wenns.
    Was wäre, wenn
National Paper
meinen Dad nicht entlassen hätte? Wäre es dann einfacher für ihn gewesen, diese andere Art von Vater zu sein?
    Was wäre, wenn Mom nicht in einem Kaufhaus arbeiten müsste, mit Kunden, die sich den ganzen Tag über die von ihnen gekauften Sachen beschweren oder haufenweise Klamotten auf dem Boden der Umkleidekabinen liegen lassen, die Mom dann aufheben muss? Würde sie dann auch so grau und müde aussehen? Wäre es ihr aufgefallen, dass ich nicht mehr gleich nach der Schule heimkam, sondern in Tommys Buick stieg und stundenlang durch die Gegend kurvte?
    Was wäre, wenn Darren und Stacy geheiratet hätten, ganz offiziell, vielleicht sogar kirchlich, ehe April geboren wurde?
    |92| Was, wenn ich mehr als zwei Freunde hätte?
    Was, wenn sich Jason für mich und nicht für Lee entschieden hätte?
    Was, wenn jeder noch eine Chance bekäme, nachdem er einen großen Fehler begangen hat?
    ***
    Lee wartete wie verabredet vor dem
Picasso
auf mich, in ihrem blauen Lieblingspulli und nicht in Jasons
Metallica
-Sweatshirt. Ein fieser Teil von mir stellte sich gern vor, wie Jason eine Bemerkung fallen ließ wie: ›Hör zu, könntest du mir gelegentlich mal mein Sweatshirt zurückgeben?‹
    Wir traten ein; die für das
Picasso
so typische ständige Dunkelheit umhüllte uns. Ich konnte Tommys Umrisse erkennen, er lehnte am Tresen und kaute auf einem Plastikhalm herum. Außer einer Familie in einer der Sitzecken weiter vorn waren keine Kunden da.
    »Dee Dee«, begrüßte uns Tommy, als wir näher kamen. »Wie heißt denn deine Freundin da?«
    Ich ignorierte ihn, aber Lee sagte: »Ich bin Lee«, als ob Tommy irgendein Freund ihrer Eltern wäre, der es tatsächlich verdiente, dass sie sich ihm höflich vorstellte. Ich fragte mich, ob es klappen könnte, ihr zu verschweigen, dass das Tommy war –
der
Tommy. Ich ging rüber zur Zapfsäule, schaufelte Eis in zwei Becher und füllte sie mit Malzbier. Tommy sah mir zu.
    »Warum machst du uns nicht eine Pizza statt hier rumzustehen wie ein Arschloch?«, fragte ich.
    |93| Michael kam mit einem Eimer Grünzeug für die Salatbar von hinten. »Du bist früh dran. Es ist zu wenig los, ich kann dich noch nicht einteilen.«
    »Ich weiß. Wir sind nur wegen einer Pizza hier.«
    »Wow, eine zahlende Kundin. Wo warst du mein ganzes Leben lang?« Er kippte das Grünzeug in die große Schüssel in der Mitte der Salatbar und vermischte es mit dem schon angebräunten Salat – als würde das niemand merken!
    »Muss ich bezahlen?«
    »Also, halber Preis, wenn du nicht arbeitest. Besser als nichts.« Er mischte die restlichen Salate durch, damit sie frischer wirkten, und wandte sich dann zum Tresen. »Tommy? Eine Pizza zum halben Preis für die Damen.«
    Tommy grinste Michael an. »Oh, isst du auch was?«
    »Ha, ha, ha.«
    Ich bestellte eine Hawaii Spezial für

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