Zicke
aber ich wollte die Pizza und das Malzbier vom Tisch fegen und rausrennen aus |100| dem
Picasso
. Es war nicht fair: Lee durfte darüber nachdenken, ob sie ihre Jungfräulichkeit an einen netten Typen wie Jason verlieren wollte, an jemanden, der seine letzten beiden Kröten für ihren Lieblingscookie ausgab, jemanden, der sie nicht bekifft machte, um dann an ihr rumzufummeln, jemanden, der sie nicht zu verlassenen Parkplätzen fuhr, ohne wenigstens vorher mit ihr im Kino gewesen zu sein. Jemanden, der sich zu ihr
bekannte
– und das nicht nur auf dem Rücksitz eines Autos.
Ich wollte nicht, dass sie das hatte, nicht mit Jason. Ich fühlte mich so drittklassig! Ich wollte Lee zu Boden stoßen und brüllen: ›Ich habe ihn schon vor dir gekannt!‹
»Schön«, sagte ich stattdessen. »Es ist Jason. Und es ist ja nicht so, dass du ihn heiraten wirst. Ich meine, am Ende trennt ihr euch oder ihr heiratet oder zieht zusammen oder was auch immer, stimmt’s? Wie, glaubst du, wird es mit Jason laufen, mal ehrlich?«
Lee blickte zu mir auf, mit rotem Gesicht. »Das könntest du auch anders formulieren.« Eine Träne quoll ihr aus dem Auge und mein Herz verkrampfte sich.
Ich wollte alles zurücknehmen und das Gespräch neu beginnen, aber es war zu spät. Wenn es irgendwer gewesen wäre, irgendwer, nur nicht Jason, dann hätte ich es nicht so vermasselt, aber ich redete einfach immer weiter, zerrte kleine Stücke Schaumstoff aus der Sitzbank und schnippte sie zu Boden. »Du willst meinen Rat hören? Mein Rat ist, dass dir nichts fehlt und |101| du in ein paar Jahren aufs College gehst und ich und Jason werden hier in Pathetica sein und in Scheißjobs arbeiten und bei
Denny
rumhängen, also weshalb willst du deine Zeit verschwenden? Mit ihm oder mit mir.«
Noch mehr Tränen. Sie musste eine Serviette aus dem Spender nehmen und sie vors Gesicht halten. Ich hätte aufstehen, neben ihr auf die Sitzbank schlüpfen und sie in die Arme nehmen sollen, sie drücken, wie sie es immer tat, wenn sie mich traf. Sagen sollen, dass es mir leid täte, dass ich nur eifersüchtig sei und dass sie vergessen sollte, was ich gesagt hatte. Ich hätte Michael bitten sollen, mir für den Abend freizugeben. Wir wären zusammen nach Hause gegangen in der nebeligen Sommernacht, und ich hätte ihr vom Sex erzählt; von dem Guten daran, zum Beispiel wie warm und aufregend es sein konnte – Sex trug dich irgendwo anders hin –, und auch von den nicht so guten Seiten, wie etwa, dass du, wenn du mal einem diesen Teil deiner selbst gezeigt hast, dem anderen auch tausendprozentig vertrauen können musst, und dass alles Mögliche passieren kann. Jemand, den du zu kennen glaubst, kann sich ändern und dich plötzlich nicht mehr wollen, plötzlich entscheiden, dass du als Story besser bist denn als Freundin. Oder du denkst manchmal, du willst es, und dann mittendrin oder hinterher merkst du, nein, du wolltest eigentlich nur mit jemandem zusammen sein; du wolltest, dass dich jemand auswählt, und der Sex selbst ist eine Art Tauschgegenstand, etwas, das du glaubtest geben zu müssen, um den anderen Teil zu bekommen. Ich hätte ihr all das |102| gesagt und ihr geholfen, zu entscheiden. Ich wäre eine Freundin gewesen.
Irgendwie konnte ich aber nicht diese Person sein, wie sehr ich es auch wollte. Sie war zwar in mir drin; ich konnte sie sehen und mir ausmalen, sie hören. Aber wie konnte ich sie
sein
? Ich war Deanna Lambert, auf ewig die Schlampe aus der Achten, Tommys lustige Geschichte, die größte Schande für meinen Vater.
Lee weinte leise vor sich hin. Ich stand auf und ließ sie am Tisch zurück. »Viel Spaß auf eurem Campingausflug«, sagte ich noch. Dann ging ich nach hinten und blieb dort, bis ich sicher sein konnte, dass sie gegangen war.
***
Den restlichen Abend ignorierte ich Tommy, was ziemlich einfach war, weil wir kaum Kunden hatten und er hinten war und mit Michael zusammen Inventur machte.
Nach der Arbeit wartete ich draußen auf Stacy, die mich nach ihrer Schicht abholen sollte. Auf Tommys: »Bis morgen dann, Dee Dee!«, reagierte ich nicht.
Michael, der mir beim Warten erneut Gesellschaft leistete, blies seufzend den Rauch seiner Zigarette in die Nacht. »Und wie hat meine Pizza deiner Freundin geschmeckt?«
Ich zuckte die Achseln. Es war egal; Lee würde ohnehin nicht mehr mit mir reden.
»Hm, so gut?«
|103| Ein aufgemotzter Mustang röhrte an uns vorbei über den Parkplatz, verfolgt von einem neueren Civic mit getönten
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